Tag 5
Was gestern noch unmöglich schien, ist heute eingetreten- die Sonne scheint. Wir frühstücken ausgiebig und lassen dann die Rucksäcke an der Rezeption unseres Hotels stehen und besichtigen den Ort Traben-Trarbach. An der Moselbrücke trennen sich unsere Wege. Während sich Elvira den Ortsteil Traben mit seinen Jugendstilhäusern und den vielen Türmchen ansieht, zieht es mich zum Mittelmoselmuseum. Dort finden sich beste Informationen über das Leben der Menschen im vorletzten Jahrhundert.
Doch innerlich lockt der Camino, ruft nach uns: »Weiter! Vorwärts! Kommt«. Ja, er hat uns in den Bann gezogen und so schultern wir wieder die Rucksäcke und laufen los. Die Glocken der Kirche begleiten uns beim üblichen Aufstieg zu den Graazer Schanzen, hinauf auf 450 Meter. Oben stehen wir vor einer Betonbrücke im Autobahnformat. Ihre Besonderheit besteht im beiderseits fehlenden Straßenanschlüssen. Weit und breit ist nichts zu sehen. Wahrscheinlich waren mal irgendwann geplante Gelder übrig und so wurde der Beschluss gefasst: „Davon bauen wir eine wunderschöne Brücke.“ Und so steht sie hier, jederzeit bereit, mit einer Straße verbunden zu werden.
Der weitere Weg ist eher besinnlich, wenn man mal von einer Gruppe grölender Touristen absieht. Die Glocken läuten, als wir an den Weinbergen entlang in Bernkastel-Kues einziehen. Es ist inzwischen heiß, die Sonne brennt. Am Marktplatz genehmigen wir uns einen Eisbecher, bevor wir dann frisch gestärkt den Ort über die Brücke zur Eifelseite wieder verlassen. Über die Weinberge fliegt ein Hubschrauber und besprüht die Reben. Später erfahren wir, dass damit dem Pilzbefall vorgebeugt werden soll.
Ungewohnt eben laufen wir entlang der Mosel. Die Sinne sind sensibel geworden. Unsere Nasen registrieren den Geruch der Mosel. Kein auf, kein ab, der Kopf wird leer, die Gedanken gehen schlafen, während die Füße im gleichmäßigem Takt die Teerstraße berühren. Ich bin wieder mal voran und Elvira ist hinter mir. Ja, wir könnten zusammen gehen und uns unterhalten, doch wir tun es nicht. Wir genießen die Ruhe, das Schweigen, jeder für sich.
Erst als es wieder anstrengend bergauf geht, kehrt die Gesprächigkeit zurück. Von weit oben blicken wir hinab auf die Mosel, machen Rast an einer Bank und verzehren die Reste des Vortags: Nachos und Brezeln. Über den Juffener Pfad durch die Weinberge kommen wir in Osann-Monzel an, gehen in die Kirche und finden Logis im Aparthotel Panorama. Es folgt die übliche Prozedur, Duschen, Sachen auswaschen, Ortsbesichtigung. Beim Abendessen reden wir über die Eindrücke des heutigen Tages. Beide empfanden wir die Köpfe wie leergefegt, nun sind wir bereit Neues aufzunehmen.
In einem Regal finde ich ein Buch von Peter Gerlach, der 2800 km von Marburg nach Finistère gepilgert ist, 2800 km. Ich blättere darin, lese einzelne Abschnitte. Sein Übungsabschnitt war der Moselcamino. Neben Schilderungen des Weges und den Begegnungen mit anderen Pilgern gibt es Privatbriefe z.B. an seinen verstorbenen Vater zu lesen, die mich tief beeindrucken. Hätte ich alleine dem Mut (oder die Lust) gehabt, diesen weiten Weg zu gehen? Ich bin froh und dankbar für meine nette Begleitung und die Möglichkeit, am Ende des Tages die Gefühle und Empfindungen des Weges mit ihr auszutauschen.
Am Abend sitzen wir dann wieder beim Gläschen Wein vor dem Hotel und lauschen erneut dem Glockengeläut der Kirche. Elvira meint, sie habe das Gefühl, dass heute sämtliche Glocken nur für uns geläutet hätten. Vielleicht war es ja so!
Tag 6
Und wieder läuten die Glocken und wecken uns aus einem tiefen Schlaf. Beim Frühstück freut sich Elvira über ein Glas Sekt, ich dagegen jubele innerlich über vier Sorten Senf aus der Senfmühle in Cochem.
420 Meter bergauf, gerade ein paar Kilometer und wieder talwärts und schon sind wir im Wallfahrtsort Klausen angelangt. Eine sehr schöne Kirche erwartet uns. Beeindruckend sind zahlreiche Kerzen, welche die Wallfahrtsgruppen jeweils mitgebracht haben. Dort treffen wir auch wieder auf die beiden Pilgerfrauen aus Sachsen und wechseln wieder ein paar Worte miteinander.
In der »Eberhardsklause« trinken wir einen Kaffee, lassen uns den Pilgerstempel in den Pass stempeln und füllen unseren Proviant im Dorfladen mit Studentenfutter und AHOI-Brausebonbons auf. So sind wir gut gerüstet für das weitere Auf und Ab. Bunt blühende Wiesen säumen den Weg, wechseln sich ab mit dem Blätterdach des Waldes, bestehend aus Buchen, Eichen und Fichten. Das Raunen des Windes in den Zweigen, der würzige Duft des Waldbodens und manchmal der süßliche Geruch einer wilden Rose lassen die schmerzenden Knochen vergessen.
An einer Wegkreuzung steht eine kleine Marienkapelle, in welcher sich ein Gästebuch befindet. Ich lese in den letzten Einträgen. Hubert war da, dem sind wir anfangs einmal begegnet. Auch die Mädels aus Sachsen haben sich eingetragen und Maria. Sie geht den Weg für ihre verstorbene Tochter. Wir sind tief berührt.
Unser kleines Picknick nehmen wir in den Weinbergen von Klüsserath ein. Elvira schnitzt eine Muschel in ihrem Wanderstock und ich befestige anschließend eine in Klüsen erstandene Stocknadel vom schönen Moseltal an ihrer Pilgerhilfe. Stolz marschiert sie die nächsten Meter voran, findet bald wieder ein Fotomotiv und gibt die Führung bereitwillig ab.
In Klüsserath hat die Touristinfo geschlossen und wir müssen auf unseren Pilgerstempel verzichten. Unterkunft finden wir auf dem Weingut Herres. Im Winzerlokal »Zur Tenne« lassen wir uns Flammkuchen und gebratenen Zander schmecken und erfahren bei einer Weinprobe, dass seit 1998 blaue Trauben an der Mosel erlaubt sind. Der »dakapo« schmeckt mir am besten und ich bekomme eine Zugabe.
Im nächsten Artikel geht es dann zum Finale der Tour. Wenn Du exklusiv informiert werden möchtest, trage Dich gerne im Newsletter ein, ich werde Dein Postfach nicht mit Nachrichten zuballern und Deine Adresse nicht weitergeben.
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