Am letzten Tag der Mimi/Enkelin Wanderung auf dem Harzer-Hexen-Stieg erwartet uns das Bodetal. Bezaubernd, wild, romantisch, schön, sagenhaft, diese Adjektive eilen der Beschreibung der 7. Etappe voraus. Dann hoffen wir mal, dass dieses Bodetal hält, was Andere von ihm behaupten.
Aus dem Tagebuch der Enkelin
Heute sind wir den letzten Tag unterwegs. Das ist was Besonderes, nicht nur weil Thomas heute mit uns ging, sondern weil es der letzte Wandertag ist.
Wir wanderten durch das Bodetal. Der meiste Teil verlief durch eine Schlucht. Ich versteckte mich hinter Steinen und erschreckte Mimi. Bei Thomas ging das nicht, weil er immer voraus rannte. Ach so, ich Dussel habe ganz vergessen zu schreiben, dass Mimi und ich mal wieder gewettet haben wie lang diese Etappe ist. Und jetzt ratet mal, wer gewonnen hat? Ich natürlich. Als wir in Thale ankamen, hat uns Thomas noch mit dem Auto nach Quedlinburg gefahren. Dort bleiben wir jetzt zwei Tage bevor es zurück nach Hause geht.
Ohne Schlaf, dafür mit Regen
Die Nacht zieht sich ewig dahin. In Anlehnung an den Film könnte ich sie mit „Schlaflos in Altenbrak“ betiteln. Total müde schleppe ich mich zum frühstücken. Anschließend packen wir das letzte Mal die Rucksäcke, dann ziehen wir los zur 7. Etappe.
Nachdem es der Wettergott die ganze Woche gut mit uns meinte, regnet es heute zum 1. Mal. Thomas grübelt, ob es an seiner Anwesenheit liegt, weil die Hexen vielleicht keine Männer mögen. Das Kind dagegen freut sich wie verrückt, denn endlich kann sie ihre neue Regenkleidung testen. Fröhlich springt sie in die Pfützen und patscht durch den Matsch. Sie genießt ihre Dusche im Freien, während wir im Unterstand hocken, um dem stärksten Schauer zu entgehen.
Treseburg, Eingang zum Bodetal
Kurze Zeit später hört der Regen zum Glück auf. Vom den Blättern fallen zwar noch dicke Tropfen, doch wir sind ja nicht aus Zucker. Weiter geht es durch den Wald. Rechts unter uns mäandert die Bode, links neben uns erheben sich hohe Felswände. Tafeln erklären, was wir im und am Gestein entdecken können, wenn wir genau hinsehen.
Wir weichen den kahlen Ästen aus, die uns umgefallene Bäume in den Weg strecken und erreichen Treseburg mit seinen pittoresken Häusern. Sie sehen aus wie einer Modellbau-Landschaft entsprungen. Der Ort rühmt sich, alles zu haben, was man zum Bergbau braucht: Erz, Wasser und Holz. Fast 400 Jahre wurde hier Kupfer und Eisenerz abgebaut. Diese Ära endete in 1777 mit Schließung der Braunschweiger Zeche.
Das Bodetal – so wild, so romantisch, so sagenhaft
Auch nach Treseburg begleitet uns die Bode. Eine Weile schauen wir einem Angler zu, der immer wieder seine Angelleine in den Fluss wirft. Wenn ich das sehe, glaube ich, dass Angeln eine echte Kunst ist. Nach dem Durchschreiten eines Holztors wird es langsam enger. Die Felswände rücken immer näher zusammen. Was wir sehen, hätten wir im Bodetalführer nachlesen können. Den haben wir aber nicht, schließlich müssen wir auf unser Rucksackgewicht achten. Jedes Gramm ist eine zusätzliche Belastung. So genügen wir uns mit ehrfürchtigem Staunen, studieren die Kräuter am Wegesrand und klettern über Steine, Wurzeln oder Treppen immer weiter nach oben.
Die Sage von der Roßtrappe
Weil es hier märchenhaft schön ist, erzählt uns Thomas die Sage von der Prinzessin Emma (oder hieß sie Brunhild, vielleicht hatte sie sogar einen Doppelnamen Emma-Brunhild, Prinzessin von und zu . . .) und dem wilden Königssohn Bodo. Der entbrennt in heißer Liebe zu Emma, deren Herz aber einem Anderen gehört. Schon im Brautkleid und mit der Krone auf dem Kopf flieht sie auf ihrem weißen Pferd. Als Bodo das erfährt, jagt er ihr rasend vor Wut auf seinem Schlachtross hinterher. Lieber tot als heiraten, denkt sie und wagt in ihrer Verzweiflung den Sprung über die tiefe Schlucht. Wie ein Wunder erreicht sie die andere Seite, nur ihre Krone fiel in den rauschenden Bach. Bodo dagegen stürzte mit seinem Pferd in die Tiefe und beide versanken in den Fluten. Seitdem heißt der Fels, auf dem man noch immer den Hufabdruck sehen kann, Roßtrappe. Der Fluss dagegen erhielt den Namen Bode, nach dem ungestümen Bodo. Verwandelt in einen zottigen schwarzen Hund bewacht er dort unten die Krone der Prinzessin und niemand ist es bisher gelungen, sie dort herauszuholen.
Tagträume im Bodetal
Inzwischen ist strahlender Sonnenschein und wir genießen eine Pause. Herrlich ist diese Landschaft. Klein und gedrungen wachsen die Bäume auf diesem steinigem Grund, trotzen ihr Dasein dem kargen Fels ab. Wie alt sie sein mögen? Was sie wohl schon alles gesehen haben? Dieser Hang hat so ein bisschen mediterranes Flair, nur dass hier ehrwürdige Eichen statt Olivenbäumen stehen. Ich versinke in Tagträumen. Thomas und der Enkelin steht der Sinn allerdings nicht nach Träumen. Ihnen ist nach Taten zumute. Sie drängeln zum Aufbruch.
Hat da der Teufel seine Hände im Spiel?
An der engsten Stelle spannt sich die Teufelsbrücke über die Bode. Warum trägt sie diesen Namen? Meine Phantasie schlägt gleich wieder Kapriolen. Die Enkelin und ich malen uns die wildesten Geschichten aus. Ist es gefährlich hinüber zu gehen? Raubt uns der Teufel oder was geschieht sonst? Thomas beruhigt uns. Natürlich weiß er, wie dieses Kunstwerk zu seinem Namen kam. Die Menschen munkelten, dass sicherlich der Teufel mit im Spiel war, um diese Brücke zu bauen, denn sie ist schwindelerregend hoch. Wir blicken mit Grausen in die Tiefe. Für seine Unterstützung verlangte der Teufel die Seele des ersten Wesens, welches die Brücke nach Fertigstellung überschritt. Normalerweise ist das der Baumeister selbst bei der Einweihung, doch der war schlau und ließ eine Ziege voran gehen. Voller Zorn, dass er überlistet wurde, verschwand der Teufel und ward nie mehr gesehen. Dann wagen wir uns mal über dieses diabolische Bauwerk. Unter uns rauschen die Wassermassen der Bode über die Steine, pressen sich ein paar Hundert Meter weiter schäumend durch die enge Schlucht und stürzen schließlich als Wasserfall in den Bodekessel.
Jungfern, Teufel und Herr von Goethe
Begleitet von Felswänden schlängelt sich der Weg bis zur Gaststätte „Königsruhe“. Dort gibt es das obligatorische Eis und anschließend probieren wir die Jungfernbrücke aus. Klar, die 11-jährige ist sicher bei der Überquerung, doch wie ist es bei mir? Hach, mich will der Teufel auch nicht. Na, dann los zum Endspurt. Vorbei an Herrn Geheimrat von Goethe, ja, der war auch hier, der war anscheinend sowieso überall, wo es schön ist, laufen wir in Begleitung der Bode nach Thale. Thomas hat dort sein Auto geparkt und bringt uns jetzt nach Quedlinburg, wo wir zwei Tage bleiben, bis er uns wieder abholt.
Hier haben wir in Quedlinburg gewohnt:
Hübsch ist das Hotel „Domschatz“, wo wir sehr nett empfangen werden. Klein und fein liegt es direkt am Fuß des Schlosses. Nach großen Taten ist uns nicht mehr zumute. So duschen wir uns versuchen anhand der vom Hotel ausgehändigten Liste telefonisch einen Tisch in einem Restaurant zu reservieren. Kurzfristig ist nichts zu holen; entweder Ruhetag oder Sommerpause oder die durch die Pandemie erlaubte Kapazität an Gästen ist erreicht. Dieser winzige Coronavirus mit Namen Sars-CoV-2 hat überall seine Fingerchen im Spiel.
Na, dann gehen wir eben persönlich durch den Ort. Vielleicht entdecken wir was und können uns dort niederlassen. Die erste Nachfrage – negativ. Gegenüber sieht es auch hübsch aus – alles besetzt. Da im Innenhof sind Plätze frei. Brav stehen wir an, kommen an die Reihe und erfahren – die Tische sind reserviert. Langsam wird es eng. Vor unserem geistigen Auge sehen wir uns schon wieder mit einer Pizza to go herumsitzen. Da ertönt in unserem Rücken eine Männerstimme: „Ihr habt doch eben auch nach einem Restaurant gesucht. Ich habe was. Soll ich für euch mit reservieren?“ „Aber sehr gerne, na klar.“ So haben wir doch noch was gefunden, lecker italienisch gespeist und einen unterhaltsamen Abend mit Frauengesprächen gehabt. Thomas dagegen besucht seine Mama und wird dort bestimmt sehr liebevoll von ihr umsorgt.