Knapp 200 km liegen vor uns. Tatendurstig und unerfahren stürzten wir los in unser großes Abenteuer, welches erst den Auftakt für die 2600 km bis Santiago de Compostela darstellen sollte. Waren wir gut gerüstet? Schwer bepackt waren wir auf jeden Fall. Hier folgen die ersten Erlebnisse und Erfahrungen, die wir »Amateuretappenpilger« dabei sammelten:

Tag 1

Am nächsten Morgen bin ich um 7.00 Uhr frisch und voller Tatendrang. Aufstehen, kurze Morgentoilette, Sachen packen und fertig für’s Frühstück. Elvira indes wird nicht darüber fertig, elf Stunden am Stück geschlafen zu haben. Sie wird im Übrigen auch sonst nicht fertig. Erst einmal turnen, dann ins Bad, schminken… Das dauert und dauert.
In der Zwischenzeit versuche ich die Träger meines Rucksacks etwas besser einzustellen, damit die Schulter nicht so weh tut. Es ist weit nach acht, als wir frühstücken und danach noch lange sitzen bleiben. Irgendwie wollen wir den Start hinauszögern, da ein mulmiges Gefühl aufkommt. Mir schmerzt die linke Schulter bis zum Ellenbogen, Elvira der rechte Arm und der linke Ischias. Aber die Zeit drängt dann doch.

Die Gemeindevertretung schließt am Samstag gegen elf Uhr ihre Pforten, und wir wollen uns unseren ersten Stempel in den Pilgerpass eintragen lassen. Dort treffen wir zwei weitere Pilgerinnen, die ebenfalls heute starten. Der Weg führt sofort steil bergauf, vorbei an der leider verschlossenen Menaskirche, Schloss Stolzenfels, dem Merkurtempel, dem Eisernen Kreuz in Richtung Waldesch. Der Rucksack wiegt heute gefühlte 50 kg, die Schulter schmerzt und ich bin mir gerade nicht sicher, ob ich morgen weiterpilgern werde.

In einem Geschäft in Waldesch kauft Elvira ein paar Erdbeeren zum Naschen. Ich finde derweil eine App im Smartphone mit der Wegbeschreibung und lade sie herunter, da sie mir eine Abkürzung verheißt. Die Anweisungen sind zwar nicht die besten, aber ich war ja schließlich Aufklärer in der »Nationalen Volksarmee«. Muschel-Wegweiser hin oder her, wir gehen bergab durch den Ort, bemerken am unteren Scheitelpunkt, dass wir falsch sind, laufen wieder hinauf, biegen rechts in eine Straße ein und suchen an deren Ende verzweifelt nach einem beschriebenen Pfad. Die App scheint älteren Datums zu sein, denn inzwischen steht dort ein Einfamilienhaus, umgeben von einem Gartenzaun.
»Dahinter muss der Weg sein«, versuche ich Elvira mit selbstsicherem Ton zu vermitteln. Sie will lieber der Jakobsmuschel folgen, aber dann müssten wir wieder zurück gehen. Also vorbei am Gartenzaun bis zur anderen Seite des Grundstücks. Damit ist allerdings der dortige Hofhund nicht einverstanden, stürzt wütend bellend auf uns zu und lässt uns nicht mehr aus den Augen. Sehr hoch ist der Zaun nicht, aber sowohl uns, als auch dem Hund bietet er eine gewisse Sicherheit, denn dem Kläffer scheint von unseren Pilgerstöcken eine gewisse Gefahr auszugehen. Er belässt es daher beim Zeigen seiner weißen Zähne.

Wege

Noch ist etwas Weg erkennbar

Tatsächlich treffen wir am hinteren Ende auf den gesuchten Pfad, welcher auf Grund der eingezäunten Nutzungsmöglichkeiten teilweise wieder von natürlichem Bewuchs vereinnahmt ist. Doch mir ist sofort klar:
»Hier sind wir richtig«.

Weg

Hier ist er noch zu erahnen

An dieser Stelle zitiere ich ein paar Sätze aus Elviras Tagebuch:

Wir stehen an einer Weggabelung, falls man das so nennen kann. Das soll heißen, der bisherige Pfad scheint sich zu verzweigen, doch nach wenigen Metern verschwinden beide Wege im Nichts. Macht nichts, wir ignorieren diese Misere, kantapper, weiter gehts, einen Aufklärer hält das nicht auf. Wir laufen über eine hohe Wiese, kein Weg mehr da, eine Abkürzung eben, reine Routine für Thomas. An einem Funkmast treffen wir tatsächlich wieder auf den richtigen Weg. Ich bin gespannt, wohin uns diese App noch führen wird.

Wiese

Wo will er nur hin?

Zu Beginn der Etappe störten mich die geschäftigen Geräusche aus dem Tal. Das Zwitschern der Vögel kam gegen das Rattern der Züge und das Motorgebrumm der Autos nicht an. Je mehr wir die Rheinseite verlassen, höher und höher steigen, desto ruhiger wird es. Langsam kann ich eintauchen in diese Stille, in die beruhigenden Geräusche des Waldes. Die Gedanken fangen an zu laufen. Der Spätfrühlingswald ist voller Butterblumen und blühendem Ginster. Unter dichtem Blätterdach laufen wir im kühlenden Schatten.

weg

Ich bin mir nicht mehr sicher

Ein Funkmast in der Ferne dient mir als Orientierung. Weil dort Wartungsaufgaben durchgeführt werden müssen, wird es sicherlich einen Zufahrtsweg geben. Als wir am Mast ankommen, zeigt uns der Wegweiser mit der Muschel wieder den Weg. Elvira bezweifelt zwar, dass wir eine Abkürzung gelaufen sind, aber ich glaube, den Frauen fehlt einfach das Gefühl weiträumig zu denken. Die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten ist nun mal die Gerade. Ich gebe ja zu, mit reichlich Ballast auf dem Rücken durch eine kniehohe Wiese zu laufen ist nicht das Wahre, aber man kann nicht alles haben: Abkürzung und top gespurten Weg.

Am nächsten Waldrand lädt eine Bank zur Rast ein. Meine Schulter schmerzt mehr und mehr. Elvira hat ebenfalls ihre Probleme. Soll das wirklich die nächsten neun Tage so weitergehen? Wir blicken zurück. Der Funkmast ist inzwischen weit entfernt, und wir sind erstaunt, welche Strecke man in kurzer Zeit zurücklegen kann. Wenig später kommen die beiden Mitpilgerinnen vom Etappenstart an unserer Bank vorbei. Da sie in Waldesch noch vor uns liefen, war ihr Erstaunen groß, dass wir nun bereits hier sitzen. Elvira berichtet von unserer tollen Abkürzung, macht diese dabei aber schon etwas madig. Wir kommen in ein kurzes Gespräch. Die beiden sind aus der Gegend von Leipzig und pilgern jedes Jahr auf einer der zahlreichen Pilgerstrecken in Deutschland. Auch ihr Ziel ist Trier. Sie machen ein Foto von uns und gehen weiter ihres Weges.

Pilgerrast

Pause am Waldrand

Irgendwie haben wir keine Lust zum Aufstehen. Als wir es irgendwann doch tun, spüren wir unsere Glieder doppelt schmerzen und benötigten eine Weile, um den normalen Tritt wieder aufzunehmen.

Kirche

Am späten Nachmittag erreichen wir die Wallfahrtskirche auf dem Bleidenstein. Das Innenleben aus Holz, Stein und Lehm ist uralt, der Altarraum von zurückhaltender Pracht. Wir stecken eine Kerze an, bedanken uns für den Weg. Still bitte ich um weniger Schmerzen in der Schulter. In einer Ecke finden wir einen Pilgerstempel und stempeln unseren Pass als Zeichen der Etappenbewältigung.

pilgern

Blick auf Alken

Von der Höhe blicken wir auf Alken, dem Ort unseres heutigen Etappenziels. Dann folgt der steile Abstieg durch die Weinberge, vorbei am Kreuzweg in umgekehrter Richtung. Ich registriere die Abbildungen des Leidensweges. Beinahe gleicht dies einer Auferstehungsgeschichte, denn als wir im Tal ankommen, steht Jesus wieder vor Gericht. Ich freue mich, wir haben die erste Etappe gleich geschafft.

Wege

An den Weinhängen abwärts

 

Eine Unterkunft finden wir in Brachtenbergs Weinhaus direkt an der Mosel. Wir haben im Übrigen keine Übernachtung vorbestellt, da wir davon ausgehen, immer eine Unterkunft zu finden. Nach einer erfrischenden Dusche versackten wir im Winzergarten und genießen die vergorenen Fruchtsäfte der hiesigen Hanglagen.

winzerstube

Tag 2

Lag es am Wein oder an der Erschöpfung, wir hatten auf jeden Fall gut geschlafen. Ein Teil der schmerzenden Körperteile hatte sich erholt, der andere Teil bekam eine Salbung mit Voltaren. Etappenstart war 10:00 Uhr. Wir brauchen morgens unsere Anlaufzeit, zumindest meine bessere Hälfte. Der Weg führt jetzt entlang der Mosel. Der Muschelwegweiser fehlt hier völlig, aber ich habe ja meine App. Elvira fragt alle 100 m, ob wir richtig sind. Ich habe das Gefühl, sie traut der Sache nicht. Als wir an einer Brücke den Fluss überqueren, findet sich dort auch die gelbe Jakobsmuschel wieder, sehr zu Elviras Beruhigung.

Gleise

vorbei an Bahngleisen

Weiter geht es durch Löf und entlang der Bahngleise nach Hatzenport.

Kirche

Im schönen Kräutergarten der Kirche St. Luzia rasten wir und streiten über das Aussehen von Bärwurz. Elvira glaubt, die Namenstafeln sind vertauscht und sie müsse diese richtig ordnen. Auch beim Färberkraut zwischen den Steinen hegt sie arge Zweifel.

Bärwurz

Bärwurz

Anschließend geht es stetig bergauf nach Lasserg, vorbei an Getreidefeldern und durch den Wald, bis wir auf einer steil abfallenden Straße die Burg Eltz erreichen.

Burg Eltz

Burg Eltz

Nach deren Besichtigung finden wir zuerst den Wegweiser mit der Muschel nicht, fragen im Restaurant und im Souvenirshop nach und freuen uns, als wir erfahren, dass wir nicht zurückgehen und den Berg wieder hinauf müssen. Diese Freude hält zweihundert Meter, dann wird der Pilger wieder bergauf geschickt, um näher bei Gott zu sein.

bergauf

Auf dem Weg nach oben

Getreidefelder rahmen unseren Weg, Wälder spenden Schatten und Vögel singen ihre Lieder. Ein Schild weist den Weg zum Klickerterhof, einer Pilgerunterkunft. Kurz davor öffnet sich uns der Ausblick auf Treis-Karden unten im Moseltal. Wir beschließen, den Abstieg mit anzuhängen und dort zu übernachten.

Blick

Treis – Karden

Zur Sicherheit buchen wir telefonisch gleich eine Unterkunft. Dank  Smartphone ist das heutzutage kein Problem mehr. Nun geht es sehr steil abwärts. Ein Fehltritt könnte unangenehme Folgen haben.
Im Hotel waschen wir im Handwaschbecken erstmal ein paar Sachen, hängen sie zum Trocknen auf eine Leine, die wir an der Feuerleiter festknoten. Als wir uns nach dem Duschen zum Abendessen begeben spüren wir wieder unsere Schmerzen. Elvira hat die erste Blase, der Rücken schmerzt, der Ischias »pocht« wie verrückt. Die Schulter im Schlüsselbeinbereich, die Hüftknochen, Oberschenkel und die Waden, all diese Stellen melden auf Grund der ungewohnten Belastungen ihren Protest an. Bis auf den Ischias kann ich mithalten, habe dafür das linke Knie und einen Sonnenbrand im Nacken zu bieten. Dabei haben wir gerade mal Tag 2 hinter uns.
Als biologische Medizin verabreichen wir uns zum Abendessen eine Flasche »Kardener Dechantsberg«.

Gasse

Unterkunft

Tag 3

Die Erschöpfung hat uns wieder sehr gut schlafen lassen. Meine dicken Wandersocken sind vom Waschen noch nicht trocken, und ich helfe mit dem Föhn nach.

socken

Socken trocknen mit dem Föhn

Über die Moselbrücke geht es wieder auf die Hunsrückseite nach Treis. Es ist erstaunlich wie schnell der Körper regenerieren kann, viele Schmerzen von gestern sind wie weggepustet. Am Kreisel hinter der Brücke blicke ich mich gewohnheitsmäßig zu Elvira um. Was ist denn jetzt? Sie läuft in die andere Richtung davon. Es hilft kein Rufen. Ich gehe langsam weiter, annehmend, dass sie sich an die Richtungsangaben der Muschel halten und mir irgendwann folgen wird. Ich finde eine Bank und warte dort. Gefühlte 20 Minuten später, ist noch immer nichts von ihr zu sehen. Belastet die Blase am Fuß sie mehr als gedacht? War sie zu einem Arzt? Ich habe nirgends eine Praxis gesehen. Ich warte und warte. Irgendwann kommt sie endlich. Sie musste noch ein Foto machen und brauchte einige Zeit, bis die Einstellungen stimmten. Ein Maler hätte die Landschaft mit Pinsel bestimmt schneller auf seiner Leinwand verewigt. Gleich am Ortsende richtet sich der Weg wieder dem Himmel entgegen. Auf einer verwitterten Steinplatte am Wegesrand lese ich folgenden Spruch:

Steintafel

Steintafel

WANDERER
verweile und bedenke:

Und Gott der HERR
nahm den Menschen
und setzte ihn in den
Garten EDEN, dass
er ihn baue und
bewahre.

Genesis 215

Beim folgenden Anstieg beschäftigen mich diese Worte noch lange. Mir wird bewusst, dass ich auf dieser Reise zum ersten Mal längere Zeit einem Gedanken nachgehe. Leben wir hier auf der Erde bereits im Paradies, aus dem wir irgendwann abberufen werden? Gibt es etwas Schöneres als unsere Erde?

Dem Himmel scheinen meine Gedanken nicht zu gefallen, und es ziehen dunkle Wolken auf.

Als sich der Weg am Berggipfel wieder ebnet, warte ich wie so oft auf Elvira. Dabei überholt mich ein niederländischer Pilger. Ein kurzes Gespräch, dann zieht er weiter. Als mich Elvira erreicht, beginnen die Blätter der Bäume lautstark zu rauschen. Unheilvoll schwillt das Geräusch an. Man sieht nichts, aber es wirkt wie ein Fauchen Gottes. Dann ist er da, der Regen. Schlagartig setzt er mit energischer Heftigkeit ein. Wir suchen Schutz unter einem Baum, kramen unsere Regensachen heraus und streifen sie über uns und die Rucksäcke.

regen

Im Regen

Es pladdert und der Baum schützt nicht mehr vor den herabfallenden Fluten. Frustriert laufen wir weiter. Das Wasser findet seinen Weg durch die Kleidung, wird vom Stoff aufgesaugt, der sich dafür kalt an die Haut klebt.

Wegweiser

Auf einem Wegweiser steht die Entfernung bis Santiago de Compostela, 2.597 km. Wir erreichen das Kloster Maria Engelpfort, schauen kurz in die Kirche, gehen vorbei an der Grotte mit der Marienfigur und suchen den Aufstieg zum Flambachtal. Ja stimmt, ein Aufstieg zum Tal und der Wanderführer bezeichnet diesen als wildromantisch. Das bedeutet, der Weg ist stark rutschig vom Regen und man muss ständig über umgestürzte Bäume klettern. Warum holen sich die Mönche hier nicht ihr Feuerholz? Dann sitzt uns eine lärmende Wandergruppe im Nacken, die unsere Ruhe stört. Wir lassen sie vorbei. Kurze Zeit später stehen sie in Wanderkarten vertieft am Weg, und wir gehen wieder vorbei. Das Spiel beginnt von vorn.

Weg

Der Regen hat inzwischen aufgehört. In einer Schutzhütte ziehen wir uns trockene Kleidung an. In Elviras Fall schwieriger, denn in ihrer Schutzhülle sammelte sich Regenwasser und gab dieses an den Rucksack weiter. Als kleinen Snack teilen wir uns einen Müsliriegel, einen Apfel und eine handvoll Nüsse. Neugierig kommt auch die wärmende Sonne wieder zum Vorschein und lugt unschuldig vom Himmel. Wir klemmen die nassen Klamotten zum Trocknen an den Rucksack und trotten nach Beilstein, dem Ende dieser Etappe.

Elvira läuft direkt hinter mir. Ich erzähle ihr von Bäumen und deren Fähigkeiten so zu wachsen, dass sie möglichst stabil sind. Aber sie reagiert nicht. Kein Wunder, als ich mich umdrehe, ist sie wieder verschwunden. Da wir hier auf dem Keltenweg sind, ziehe ich kurz die Möglichkeit einer übersehenen Fallgrube in Erwägung, sehe sie dann aber wieder auf den Weg kommen. Nein, sie war wieder fotografieren. Ein abgesägter Baumstamm, der mit seinem Bruchstück wie ein Stuhl wirkte, hatte ihr Interesse geweckt. Ich bekomme einen freundlichen Hinweise, zukünftig langsamer zu laufen, damit ich öfter auf einem Foto bin.

im Wald

Aus Elviras Tagebuch:
Thomas läuft wieder vorweg. Bei der Beilsteiner Kirche ist er wie vom Erdboden verschluckt. Ich gehe in die Kirche und sehe Thomas dort gedankenversunken sitzen. Leise erklingt das Ave Maria, und ich weiß, dass er an seinen Opa denkt. Es war dessen Lieblingslied. Ins Gästebuch schreibt er anschließend den Wegspruch von heute Morgen und seine Gedanken dazu. Ich stehe vorm Altar und fühle mich zum ersten Mal als Pilgerin und nicht als Wanderin. Vielleicht liegt es daran, dass wir bisher vor so vielen Kirchen mit verschlossenen Türen standen. Ich finde das sehr schade.

Kirche

Kirche von Beilstein

Im Klostercafé trinken wir etwas und schauen hinunter auf Beilstein. Dunkle Wolken drängen uns zum Aufbruch. Wir müssen noch ein Quartier suchen. Wir eilen die »Schinderhannestreppe« hinab ins kleine pittoreske Örtchen, in dem die Zeit vor fünfhundert Jahren stehen geblieben scheint. Logis finden wir im Hotelcafé »Klapperburg«. Nach einer heißen Dusche besichtigen wir ausgiebig Beilstein. Dann ist Zeit für ein dickes Stück guten Kuchens in unserem Café. Beeindruckt sind wir von der dortigen Sammlung aus 500 Kaffeemühlen. Unser Abendessen nehmen wir im Gasthaus »Zur guten Quelle« ein. Während des Pilgerns habe ich Fleisch von meinem Speisezettel gestrichen und daher gibt es Spargel für mich.

cafe

Sammlung von Kaffeemühlen

Beilstein

Beilstein

Tag 4

Am nächsten Morgen gelingt es uns wirklich, eine halbe Stunde früher zu starten. Weit kommen wir allerdings nicht, denn die Fähre auf die andere Moselseite beginnt mit ihren Diensten erst um 10.00 Uhr. Ungewollt entschleunigen wir.

Fähre

Moselfähre Beilstein

In Zell treffen wir eine der Leipzigerinnen wieder. Sie laufen heute getrennt, jede ihr eigenes Tempo. Das ist im Übrigen durchaus ein Problem: Wenn sich jemand stundenlang dem Tempo des anderen anpassen muss, ist das fürchterlich anstrengend. Bei uns bin ich es, der oft vorneweg läuft. Dann freue mich allerdings auf eine kurze Rast, in der ich wieder auf Elvira warte. Direkt hinter Zell geht es wieder bergauf. Inzwischen wundern wir uns nicht mehr darüber.  400 Höhenmeter sind zu erklimmen. Der Weg ist rutschig und schmierig vom gestrigen Regen und als ob das nicht reicht, öffnet der Himmel wieder seine Pforten. Auf einem Stück Waldweg, der von den Forstfahrzeugen total zerfurcht ist, waten wir durch dicken Schlamm, der an den Schuhen kleben bleibt. Danach führt uns die gelbe Muschel über eine hohe nasse Wiese. Waren die Schuhe bis dahin dicht, läuft das Wasser nun direkt von oben in die Socken, da jeder Schritt ein wenig Naß vom Gras abstreift. Dafür sind die Schuhe wieder sauber. Stumm und demütig erreichen wir Enkirch. Bei dem Wetter ist es menschenleer und gleicht einem Geisterort.  Auf dem »Nonnenhof« nehmen wir eine kleine Zwischenmahlzeit ein, trinken etwas Heißes und ziehen trockene Socken an.

Zusammen gehen wir weiter, kürzen den Weg frecherweise ab, und nehmen statt des Camino den Weg der Lieder. Alle hundert Meter gibt es dort ein Schild mit dem Text eines deutschen Volksliedes. Lauthals singen wir die Lieder zwischen den Stationen und vertreiben damit sogar zeitweise den Regen. Um wieder auf den Camino zu gelangen, müssen wir den »Winzer-Steilhang-Weg« hinauf und bekommen somit direkt die Bestrafung für die Abkürzung. Kniehohe Treppen, für die unsere Beine beinahe zu kurz sind, bringen uns rasch himmelwärts. Ein Paradies für Steinböcke, zu denen wir leider nicht gehören.

Wegweiser

In einer Kapelle in Starkenburg können wir unsere Pilgerpässe stempeln. Dort liegen einige Kleinigkeiten, die ein Pilger gebrauchen kann. Man darf etwas nehmen, soll etwas anderes dafür geben. Ich greife mir ein Regenponcho und lege dafür Erfrischungstücher, Streichhölzer und ein paar Sicherheitsnadeln hin. Petrus muss dabei zugesehen haben und war der Meinung, die Schleusen wieder öffnen zu können, da ich ja einen neuen Regenschutz habe. Weiter geht es bergauf. Ich weiß nicht recht, wie die das machen, aber immer, wenn man denkt, man sei oben, kommt garantiert eine weitere Steigung. Dann weiß der Pilger: »Hier bin ich richtig!«

Blick

Lorettablick in tristem Grau

Am sagenhaften »Lorettablick« zeigt sich die Landschaft im verschleierten Grau. Auf dem Weg nach unten laufen wir falsch und kommen daher nicht an der Ruine der Grevenburg vorbei.

Triumphierend ziehen wir durchnässt und frierend am Brückentorbogen von Traben-Trarbach in den Ort ein, nehmen im ersten Hotel ein Zimmer, wärmen uns unter der Dusche und hängen die Sachen zum Trocknen auf. Zum Abendessen bestellt Elvira Spargel, wen wundert’s.

Tor

Wir wandern inzwischen am Limit. Der ganze Körper schmerzt, die Haut ist schrumpelig vom vielen Wasser. Schuhe und Sachen trocknen nicht mehr. Die Leipziger Mädel hat es noch übler erwischt wie wir später erfuhren. Sie sind den »richtigen« Weg an der Ruine vorbei gelaufen, der extrem glitschig und somit gefährlicher war. Auch sie fühlten sich am Ende ihrer Kräfte.

Wie geht es weiter? Demütig im Regen oder heiter in der Sonne. Was wird uns in Erinnerung bleiben? Der Baumstamm im Wald, dem Moose und Pilze seine Jahrzehnte gesammelten Nährstoffe entziehen? Spinnennetze, die schwer behängt mit Wassertropfen, dem kräftigen Wind standhalten? Welche Fragen stellt man sich? Tut es einer Ameise weh, wenn ein Regentropfen sie trifft? Ein Kassenzettel weitab vom Ort im Wald; Milch, Wurst und Zahncreme, welche Geschichte könnte er erzählen?

weg

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