Abkürzungen sind nicht immer gut, es gibt welche, die sollte man nutzen, andere entpuppen sich als Umweg. Wer sich gut vorbereitet, kommt voran, die Anderen müssen Lehrgeld zahlen. So ist es nicht nur im täglichen Leben, sondern auch auf unserer Pilgertour…
GPS oder Wanderführer
Wir versuchen es wieder mal mit einem Frühstück. Es gibt wenigstens noch etwas Butter zum Weißbrot und zur Marmelade und ein wenig Milch für meinen Kaffee. Was gäb ich jetzt für ein Stück Leberwurst. Die Frauen stört es nicht so sehr. Bevor wir starten, besprechen wir noch einmal die Route mit Britta. Sie ist hochtechnisch ausgerüstet mit GPS- Gerät. Ich bin sehr beeindruckt. Dazu hat sie noch jede Menge Zettel, auf der die Wegstrecken beschrieben sind. Das nenne ich Vorbereitung. Wir dagegen ziehen los, mit einem Wanderführer, der vor einigen Jahren verfasst wurde und wundern uns dann, wenn es am Ende die beschriebene Unterkunft nicht mehr gibt.
Die Stadt der Gullideckel
Aber das heutige Ziel ist in Pont a Mousson und in der großen Stadt dürfte sich sicherlich etwas finden. Die Stadt ist übrigens bekannt, für die Herstellung von Gullideckeln, also schaut mal in Eurer Stadt auf die runden Gussdeckel, was dort draufsteht. Oft ist es auch nur die Abkürzung PAM.
Wir starten zu dritt und auch wenn es Britta wahrscheinlich schwerfällt, passt sie sich unserem langsameren Tempo an. Auch ihre Füße haben die bisherigen Etappen nicht unbeschadet überstanden. Der Weg ist heute eben, wirklich mal keine Steigungen. Ein Treidelpfad führt am Moselufer entlang.
Immer wieder gibt es ein paar Kiesgruben aus vergangenen Zeiten. Die Sonne brennt heiß vom Himmel, die Wasservorräte werden schnell verbraucht. Da wir aber bereits gestern knapp 10 km weiter laufen mussten, als geplant, ist die Etappe heute relativ kurz und so fallen wir auch am frühen Nachmittag in Pont a Mousson ein. Hier treffen wir auch Hermann und Christel wieder, die wir bereits in Metz getroffen haben. Sie reisen morgen zurück.
Wir nutzen die zusätzliche Zeit und sehen uns etwas in der Stadt um.
Logis finden wir im Hotel »Relais de poste«, welches allerdings seine besseren Zeiten längst hinter sich hat. Brandflecken in Polstern und Wolldecken verheißen nichts gutes und selbst die Tapete zieht es vor sich von der Wand zu trennen. Aber davon sieht man abends nicht mehr viel, denn die Glühbirne in der Lampe ist defekt. Obwohl wir immer sehr erschöpft sind, schlafen wir diesmal sehr schlecht. Es ist heiß und die Fenster stehen offen. Unten auf der Straße sind die Tische und Stühle vom Restaurant noch gut belegt und die Franzosen diskutieren laut und lange. Worüber verstehe ich allerdings nicht. Es ist nach 1 Uhr, als langsam Ruhe einkehrt, die hält so bis 4 Uhr. Dann wird die Müllabfuhr aktiv und scheut sich auch nicht, dies den Bewohnern lautstark zu vermitteln.
Abkürzung gesucht
Die nächste Etappe wird wieder sehr weit und um die Füße etwas zu schonen, fahren wir ein Stück mit dem Bus. Britta will eine andere Strecke laufen, über den Berg und steigt ein paar Stationen früher aus. Wir fahren weiter bis Frouard und laufen dann entlang der Mosel über Liverdun bis nach Toul.
Nancy lassen wir damit aus, da wir keine Lust haben stundenlang in das Stadtzentrum zu laufen. Lieber genießen wir die Ruhe der Landschaften. Der Weg ist wieder angenehm und wir kommen gut voran. In der Ferne sehe ich bereits Villey-Saint-Étienne, von dort aus sind es nur noch 6 km bis zum Stadtrand von Toul. Immer schön der Mosel folgen.
Doch dann passiert es. Da ich einem Bedürfnis nachgehe, läuft Elvira vor mir. Sie läuft nicht gerne auf der Straße und nimmt einen unbefestigten Weg aufwärts, weg von der Mosel. Gerade als ich jedoch protestieren will, entdecke ich den Wegweiser mit der Muschel. Sie geht richtig.
Gut denke ich, gehen wir da oben entlang, da hat man bestimmt eine schöne Aussicht über das Moseltal und muss keine Straße laufen. Nur die letztere Annahme erwies sich jedoch als richtig, denn der Weg führt weg von der Mosel, weit weg sogar. Eigentlich geht es in die völlig falsche Richtung, aber lange Zeit glaube ich an das Gute im Menschen und bin sicher, es hat seinen Grund, dass der Wegweiser in diese Richtung zeigte.
Umweg gefunden
Als ich meinen Irrtum bemerke, ist es zu spät zum Umkehren. Wir laufen einen gewaltigen Umweg und erreichen nach beinahe 12 Kilometern Villey-Saint-Étienne, die Stadt, die ich bereits am Moselufer in 2 km Entfernung gesehen hatte.
Es ist verdammt heiß, kein Schatten. Ich laufe vorbei ein einer Koppel. Die Kühe glotzen mich blöde an. Mir doch egal, die können ruhig denken, was sie wollen. Auf der Weide steht ein riesiger Tränkebottich, gefüllt mit klarem Wasser. Ein Gefühl der Lust überkommt mich, ein großes Verlangen. Aber die Weide ist nur zu dicht bestückt mit einem Stacheldrahtgeflecht, welches mich davon abhält, mir die Klamotten vom Leib zu reißen und mich in die Kuhtränke zu stürzen. Was wär das jetzt für eine Wonne.
Wieder einmal habe ich die Schnautze voll, beschließe, den Rest der Strecke bis Toul fahre ich mit dem Bus. Elvira stimmt mir zu und wenn ich es mir so recht überlege, ist sie ja Schuld am Umweg, aber ich bin zu erschöpft um darüber zu diskutieren. Dann sind wir an der Bushaltestelle. Der nächste Bus nach Toul geht morgen früh. Es fahren überhaupt nur 4 Busse am Tag hier ab. Zwei morgens hin, nachmittags zwei zurück.
Warum nicht einfach nur Urlaub
Wo bin ich hier gelandet und was mache ich hier eigentlich. Andere verbringen ihren Urlaub unter Palmen am Strand, essen Melonen und trinken einen Aperol-Spritz. Das einzige Restaurant hier im Ort zeichnet sich aus durch versperrende Spanplatten an Fenster und Tür. Einziger Lichtblick ist ein Stadtbrunnen, aus dem das Wasser munter sprudelt. Wie besessen stürzen wir darauf zu, erfrischen Gesicht und Arme.
Von irgendwoher kommt ein Stadtgärtner angerannt, fuchtelt wild mit den Armen und ruft uns etwas zu. Er will uns klar machen, dass dies kein Trinkwasser ist, aber angesichts der grünlichen Färbung war uns das durchaus bewusst.
Wir fragen ihn, ob es eine Möglichkeit gibt, von hier aus nach Toul zu fahren. Mitleidig sieht er uns an und schüttelt den Kopf. Dann redet er los. Ich verstehe wieder nur Bahnhof, aber Elvira scheint einige Bruchstücke übersetzen zu können, nickt am Ende freudig und meint »Qui, Qui, merci, Monsieur!« Er zog davon.
»Was war los«, will ich wissen, »hat er dir ein Angebot gemacht.«
Ende gut – Alles gut
„Ja, uns. Wir sollen zum Ortsausgang gehen und dort am Spielplatz warten. In zwei Stunden hat er Feierabend und nimmt uns mit dem Auto mit nach Toul. So habe ich das wenigstens verstanden.“
Ich bin etwas skeptisch, hoffe darauf, dass ihre Interpretation korrekt war. Aber da ich nicht weiter will und sich zwei Stunden Pause gut anhören, mache ich mit.
Als wir am Spielplatz ankommen, meldet sich Britta per SMS. Sie ist in Toul und hat ein Hotel. Dort ist nur noch ein Zimmer frei und sie fragt an, ob sie dies für uns reservieren soll. Natürlich, wir wissen zwar nicht, wann und wie wir hinkommen, aber damit wären wir dieses Problem schon mal los. Gut, dass wir auch noch Britta haben.
Wir liegen im Gras und genießen die Ruhe. Nach einer Stunde wird mir langweilig und ich betrachte mir die Pappfiguren am Ortseingang. Die meisten sind in Uniform und sollen wohl an vergangene Zeiten erinnern.
Es ist kurz nach 5 Uhr, als der Stadtgärtner dann tatsächlich vorfährt und uns mitnimmt bis nach Toul. An einem Parkplatz setzt er uns ab, lässt den Motor laufen, die Türen offen und bringt uns noch 300 Meter weiter, damit wir den richtigen Weg in die Stadt finden.
In der Tourist-Info holen wir uns den Pilgerstempel. Die Frau ist etwas besorgt, teilt uns mit, dass es keine Unterkünfte mehr gibt. Aber zum Glück hatten wir ja Britta, die trotz ihres weiteren Weges wieder gerannt sein muss. Wie war sie so schnell hier?
Gut, ohne den Umweg hätten wir es auch geschafft. Abends gehen wir gemeinsam essen und beschließen, morgen wieder zusammen zu laufen.