Die Entscheidung war gefallen: »Wir pilgern im nächsten Urlaub«. Was Hape Kerkeling geschafft hat, werden wir wohl auch hinbekommen. Der ganz große Ritt ist allerdings nicht geplant, denn wir haben erstmal nur zwei Wochen Urlaub. Pilgerwege gibt es viele und bereits die Auswahl eines Anfangs fällt uns schwer. Die Mosel wurde erwählt, von Koblenz nach Trier, etwa 180 km in zehn Tagen und anschließend noch drei normale Urlaubstage. Natürlich spielte auch unser Verhältnis zu einem Gläschen guten Wein keine unerhebliche Rolle bei der Streckenwahl. Zahlreiche Unterkünfte, eine gute Infrastruktur (man sollte beim Pilgern wohl eher das Gegenteil anstreben) und abends ein gutes Essen boten weitere gute Gründe dafür.
Ich glaube, in vielen Menschen schlummert der Wunsch einmal pilgern zu wollen, aber sie zweifeln dann oft zu sehr an sich selbst oder ihre Unsicherheit. Man redet sich Gründe ein, die dagegen sprechen, verschiebt die Sache, meist bereits ahnend, dass man es nie macht.
Das Training
Wir wollten einfach anfangen. Klein zwar, aber voller Ehrgeiz. Bis Ende Mai waren es noch sechs Wochen. Elvira meinte, wir müssen erst einmal üben, wie wir mit langen Wanderungen zurechtkommen. »Ich bin schließlich noch nie 20 km am Stück gelaufen:« Gut, ich habe das zwar schon mehrmals gemacht, aber in der Regel nur an einem Tag und nicht zehn Tage am Stück und mit einem großen Rucksack auf dem Rücken. Noch am selben Nachmittag gingen wir in den Wald und absolvierten dort statt der üblichen 4km Runde die 6-km-Schleife. Natürlich waren die anderthalb Stunden auf relativ ebener Strecke kein Problem.
Die Ausrüstung
Was benötigt man denn so als zünftiger Pilger? Natürlich einen ordentlichen Rucksack, ein paar gute Wanderschuhe (vorhanden und wenig genutzt) und einen Wanderstock. Pilgerpässe und je eine Jacobsmuschel hatten wir uns bereits beim letzten Weihnachtsmarktbesuch in Münster besorgt. Wir wollten ja auch als Pilger erkannt werden.
In der folgenden Woche fuhren wir nach Kassel zum Rucksackkauf. Lag es nun an der vollen Innenstadt, unserer Ungeduld oder dem fehlenden Wissen einen wirklich guten Rucksack einschätzen zu können, wir schlugen im ersten Geschäft zu. Elvira lockte mit Sicherheit die Farbe Rot, verbunden mit der Marke Jack Wolfskin, war das ein unschlagbares Argument. Mit 55 Liter Inhalt meinte der Verkäufer, sollte sie auskommen, mehr wäre für ihre Statur zu schwer. Da ich zumindest in der Breite mehr aufzuweisen habe, entschied ich mich für eine 60-Liter-Variante in Schwarz. Wichtig waren mir die zahlreichen Einstellungsvariationen und Taschen an verschieden Stellen, damit man das Teil nicht komplett leeren muss, wenn man etwas unten herausholen will. Die Größen entpuppten sich übrigens nach fortschreitender Pilgeraktivität als zu groß. Ein voller 60 ltr. Rucksack bringt es auf 12 kg Gewicht. Dazu kommen nochmal 2kg für volle Wasserflaschen. Aber diese Erfahrung fehlte uns. Beim ersten Mal nimmt sicherlich jeder zu viel Gepäck mit und am Ende findet sich manch ungebrauchter Gegenstand im Gepäck. Zu einer empfohlenen Packliste werde ich in einem späteren Beitrag noch kommen. Entscheidend an dieser Stelle sollte für alle neuen Pilgerwilligen die Erkenntnis sein, weniger Platz zwingt zu einer besseren Überlegung.
Verzichten!
Was ist wirklich notwendig, was benötige ich in diesen Lebenstagen? Es ist weniger als man denkt. Dieser Augenblick ist einer der ersten Momente, in dem man sich bei seiner Pilgertour die wesentlichen Dinge ins Gedächtnis ruft. Ein spiritueller Moment, den man eigentlich noch gar nicht als solchen erkennt und wahrnimmt.
Solange sich im Rucksack noch ein freies Plätzchen findet, sucht man nach Dingen, die es ausfüllen, denn man ist sich plötzlich sicher, das brauche ich noch.
Nun ist die Last, die jeder zu tragen vermag in erster Linie von der Konstitution und Kondition des Wanderers abhängig. Angenehm ist sie auf Dauer jedoch keinesfalls. Es gibt Leute, die kürzen sogar den Stiel ihrer Zahnbürste, um wieder ein paar Gramm zu reduzieren.
Wir hatten also unsere Rucksäcke und griffen auch gleich noch je zwei Paar Wandersocken ab. Die Funktionalität wird den Preis schon rechtfertigen. Um es vorwegzunehmen, diese Socken haben durchaus einige Vorteile, aber sind auch etwas dicker. Nicht nur bei großer Hitze sind manche Menschen feuchten Fußes unterwegs und genau dann läuft man sich schnell eine Blase. Ich verwende inzwischen wieder meine dünneren normalen Socken und mache damit keine schlechteren Erfahrungen. Ein Vorteil ist ein schnelleres Trocknen nach der Wäsche.
Mut fassen
Für das nächste Wochenende war die nächste Trainingstour angesagt. Die Rucksäcke bepackt mit 5 kg und zwei Wasserflaschen geschultert liefen wir entspannte 9,5 km durch den Reinhardswald. An den folgenden Wochenenden steigerten wir die Entfernung an zwei Folgetagen auf 18 km Premiumwanderwege im »Hohen Meißner«.
Es wird ernst
Wir fühlten uns gerüstet und verzichteten die letzten drei Wochen vor unserem Pilgerstart auf weiteres Training. Am Abend davor wurde gepackt. Elviras Rucksack brachte 12,3 kg auf die Waage, meiner sogar 14,6 kg, ohne Wasser wohlgemerkt. Ich war entsetzt. Gut, für die Bahnfahrt war noch ein kleines Picknick dabei und zwei Piccolos, welcher wir uns entledigen würden, aber die Masse war das nicht. Schweren Herzens entfernte ich eine lange Hose, einen Pullover und ein Hemd. Ja, ich hatte Hemden mit, wir wollten doch abends auch schön essen gehen. Auch ein paar Reserveschuhe (falls mal die Wanderschuhe zu nass sind oder kaputt gehen), flog aus dem Gepäck. Den freien Platz ersetzte ich teilweise durch ein Handtuch. Die Waage zeigte auf 12,8 kg. Weniger geht nicht, war ich mir sicher und auf ein Kilo mehr oder weniger würde es wohl auch nicht mehr ankommen.
Endlich geht`s los
Früh am folgenden Morgen ging es los zum Bahnhof. Elvira jammerte bereits nach fünfhundert Metern, hielt dann aber die restlichen zwei Kilometer tapfer durch. Voller Tatendrang stampften wir dem Abenteuer Pilgern entgegen, jeder unterstützt von einem Haselnuss-Pilgerstab aus unserem Garten. Am Rucksack zeigte die baumelnde Jacobsmuschel den Mitmenschen unser Vorhaben an.
Der Zug hatte Verspätung, aber die Anschlüsse passten trotzdem. Wie bei einem Urlaubsstart per Bahn bei uns üblich, packten wir unser kleines Frühstück aus und öffneten unseren Piccolo. Noch ein letztes Mal die angenehmen Seiten des Fahrens genießen, ehe zur Fortbewegung ausschließlich die Füße genutzt werden.
Gegen Mittag kamen wir in Koblenz an, zwängten unsere Rucksäcke in die Schließfächer und erkundeten die Altstadt und das Deutsche Eck. Der Rhein führte Hochwasser und an seinen Ufern lagen mehrere Kreuzfahrtschiffe, die ihre Fahrt deswegen nicht fortsetzen konnten. Die lichte Höhe unter den Brücken reichte nicht aus. Schlammig braun wälzen sich die Wassermassen an der Moselmündung vorbei, ohne sich dort direkt mit dem dunklen Wasser des Nebenflusses zu vermischen. Nach dem Erklimmen des Reiterstandbildes begeben wir uns zurück zum Bahnhof, schultern unser Gepäck und beginnen mit dem Pilgern. Nach wenigen hundert Metern beginnen wieder die Probleme.
Auf Grund der Hochwassersituation ist der Weg am Rhein gesperrt. Uns bleibt nur die Möglichkeit, den Fahrbahnrand der Bundesstraße bis zur heutigen Unterkunft in Stolzenfels zu nutzen.
Es herrscht reger Verkehr, natürlich, es ist Freitag Nachmittag. Bei jedem LKW erfasst uns der Sog des Fahrtwindes drückt uns merklich zurück, saugt so die Kraft aus den Knochen. Es scheint wie eine erste Prüfung, die feststellen will, ob wir als Pilger zugelassen werden. Elvira wird immer schneller, ich gehe etwas langsamer. Es sind nur acht Kilometer, aber es ist heiß und laut jaulen die Motoren der Fahrzeuge.
Am Ortseingang von Stolzenfels beginnt ein Fußweg, der uns jetzt ein wenig mehr Schutz bietet. Die Prüfung scheint bestanden zu sein, aber als wir wenige Meter weiter den steilen Anstieg für den morgigen Etappenstart sehen, wirkt dieser wie ein mahnender Fingerzeig: » Noch könnt Ihr euer Vorhaben abbrechen«! Aber daran verschwenden wir keinen Gedanken. Wir sind gut durchgeschwitzt und sehr durstig, biegen endlich von der Bundesstraße ab und gehen die letzten 1200 Meter am Rhein entlang. Ich weiß nicht, worauf ich mich mehr freue, auf eine Dusche oder ein großes Bier. Das Gepäck ist schon sehr belastend und heute hatten wir nur rund zehn Kilometer. Morgen kommen nochmal 12 dazu. Mit jedem weiteren Schritt gewinnt das Bier die Oberhand, daher biegen wir am Gasthof »Zur Kripp« auch gleich zum Biergarten ab und genehmigen uns erstmal einen halben Liter Hopfensaft.
Nach dem zweiten Glas bestellen wir etwas zu essen. Danach gehen wir auf das Zimmer und duschen. »Was machen wir jetzt mit dem Abend?«, fragte Elvira. Ich war ziemlich geschafft vom Tag und da der Biergarten inzwischen geschlossen war, plädierte ich für zu Bett gehen. »Ich kann doch jetzt noch nicht schlafen«, empörte sich Elvira. »Dann siehst du noch etwas fern«, antwortete ich und schaltete rechtzeitig zu den Nachrichten ein. Als der Wetterbericht dann für den nächsten Tag Sonnenschein vorhersagte, konnte ich diese Freude nicht mehr mit Elvira teilen, da sie bereits tief und fest schlief.
Es war sehr aufregend
Wollt Ihr erfahren, wie es weiter ging und was wir so alles erlebten? Es lohnt sich, kann ich versprechen und es blieb auch nicht unsere einzige Pilgertour. Hier könnt ihr erfahren, was wir so alles erlebt hatten.
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Du findest sie hier:
Hallo! Ich bin gebürtige Südkoreanerin aber wohne sei Jahren in Wien! Ich plane nächstes Jahr Jakobsweg mit 31 Ettapen! Aber allein habe ich Angst! Wo kann ich ein paar Freunde finden damit ich nicht allein Reise! Ich bin auch über 50 und es wird
ein große Geschenk für mich selber! So , im April sein! Ich habe schon viele Info. gesammelt aber ich finde gar keine Freunde…. Was nun?… Ich möchte ihre Ratschläge hören!…. Ein angenehmer Tag😊
Schönen Guten Tag,
erst einmal Entschuldigung für die späte Antwort. Mein Name ist Elvira (Partnerin von Thomas) und bin im Herbst 2021 den Camino del Norte in Spanien alleine gelaufen. Es war Coronazeit, dadurch war dieser wenig frequentierte Weg noch einsamer, mit teilweise geschlossenen Herbergen und trotzdem fand ich sehr schnell Gesellschaft. Da gibt es Pilger, die ein Stück des Weges mit Dir ziehen (solange wie Du oder sie mögen) oder mit denen Du Dich am Wegesrand austauschen kannst. Abends in den Unterkünften finden sich alle wieder zusammen. Falls Du auf dem Camino Frances pilgerst, kann ich Dir versichern: Da ist so viel Betrieb, dass Du Dir manchmal mehr Ruhe wünschst.
Eines ist ganz gewiss, dass, was Du auf dem Weg brauchst, wirst Du auch bekommen. Immer werden Menschen zur richtigen Zeit an deiner Seite sein, die Dir behilflich sind – entweder Mitpilger, die Gastgeber in den Herbergen, Einwohner der Dörfer und Städte, oder Leute, denen Du begegnest. Also, mach Dir dieses große Geschenk, unabhängig davon, ob Du bereits jetzt Freunde dafür findest. Allein unterwegs bist Du viel unabhängiger. Mir hat das sehr gut gefallen. Eine Freundin hat mir gesagt: „Mach den ersten Schritt, es ist der Schwerste, danach schiebt sich der Weg unter deine Füße.“ Das kann ich bestätigen.
Also, geh los. Ich wünsche Dir Buen Camino.
Ich bin gerade dabei, meine Erfahrungen aufzuschreiben. Du findest sie dann hier im Blog.
Elvira
Ihr habt geschafft, wovon ich noch träume:
eine „echte“ Pilgertour mit allen Höhen und Tiefen.
Ich hege bereits seit Jahren den Wunsch, einmal mit einem Rucksack auf dem Buckel eine oder mehrere Wochen lang „den Weg“ zu bewältigen.
Darf ich fragen, wo Ihr genächtigt habt? Gibt es auf Eurer Route auch Pilgerunterkünfte, oder habt Ihr „nur“ in Hotels geschlafen?
Ich freue mich auf weitere Berichte von Eurer Pilgerreise! Bom Caminho!
Hallo Helge,
es gibt an der Mosel auch Pilgerunterkünfte, die jedoch nicht zu unseren Etappen passten. Wir hatten eben nur die zwei Wochen Urlaub und so haben wir meistens in Pensionen oder privat gewohnt. Wenn wir in einem Ort ankamen, haben wir einfach gefragt, wo ein Zimmer frei ist. In der Regel klappte das.
Weitere Berichte findest Du hier im Blog und es gibt noch zwei Artikel bei mir, wo wir Frankreich erreicht haben. Hier ist der Link https://septemberfrau.de/pilgern-ist-ganz-einfach/
Und warum nur träumen? Es gibt viele Pilgerwege hier in Deutschland, (dann entfällt die lange Anreise) die in zwei Wochen locker zu bewältigen sind. Ich fühlte mich an der Mosel als Pilgerin, auch wenn es kurz und nicht der „echte“ Weg war.
Und auch in Abständen kommt man weiter. Letztes Jahr habe ich (inzwischen allein, da Thomas arbeiten durfte) St.-Jean-Pied-de-Port erreicht. Nun bin ich ziemlich aufgeregt, denn für September plane ich den Camino de la Costa zu laufen. Wie das wird und ob es überhaupt möglich ist, steht in den Sternen. Ich lasse mich überraschen.
Also, such Dir einen Weg aus und lauf ein Stück, doch vorsichtig: Es gibt einen Suchtfaktor.
Alles Liebe und einen guten Weg
Elvira