Es scheint, als wäre die Rhön extra für Kinder erschaffen worden. Aus diesem Grund geht dann auch meine Oma-Enkelin-Sommerreise in Deutschlands bekanntestes Mittelgebirge. Egal ob du in einem der schönen Orte unterwegs bist oder Berge und Täler durchstreifst, die Rhön ist ein grenzenloses Kinderparadies. Da fällt die Entscheidung schwer, was wir unternehmen und ansehen wollen und was nicht.
Eine Woche zu Gast im Kinderparadies Rhön
Die Qual der Wahl begann bereits bei der Unterkunft. Wir wollten eine gemütliche Ferienwohnung mit netten Gastgebern in einem kleinen Ort. Wenn es dort noch einen Gasthof mit leckerem Essen gäbe, wären wir beide überglücklich. Wir haben lange gesucht und dann die für uns perfekte Kombination gefunden:
Im Landhaus Will in Hilders-Eckweisbach genießen wir die Gastfreundschaft des Inhaber-Ehepaars und fühlen uns dort sehr gut aufgehoben. Besonders gefallen hat uns das Frühstücksbüffet mit den vielen Bio-Produkten.
Abends schlemmen wir uns im traditionsreichen Gasthof „Zum Rosenbachschen Löwen“ durch die Speisekarte. Ausgezeichnet mit 3 Silberdisteln wird hier fast ausschließlich mit regionalen Zutaten gekocht und selbst die Getränke sind aus der näheren Umgebung.
Der Riese, der Teufel, der Heilige und die Kelten
Als erstes Ziel haben wir uns die sagenhafte Milseburg ausgesucht. Schon von weitem sehen wir die 835 m hohe, eindrucksvolle Bergsilhouette. Die Sage erzählt, dass hier in der Felsenburg der Riese Mils lebte, welcher sich aus Furcht vor dem heiligen Gangolf selbst tötete. Aus Zorn begrub ihn der Teufel, mit dem er im Bunde war, unter einen Berg von Steinen. Deshalb ist der Berg auf einer Seite kahl, während er sonst dicht bewaldet ist.
Wir laufen am Ringwall der ehemaligen keltischen Siedlung entlang. Die Enkelin ist begeistert von den großen moosbewachsenen Steinen und klettert sofort bergauf. Geduldig warte ich und beobachte mit Sorge den grauen Himmel. Leider hat der Teufel viele Steine auf Mils geworfen, wodurch meine Geduld arg strapaziert wird.
Als wir den Gipfel mit der Kreuzigungsgruppe erreichen, fegt uns der Wind fast vom Berg. Im Schlepptau hat er eine Regenwand, die auf uns runter platscht als wir an der St.-Gangolf-Kapelle vorbei zur urigen Milseburghütte rennen. So schnell der Regen kam, ist er auch wieder vorbei, und wir wagen erneut den Aufstieg. Von oben hat man einen herrlichen Ausblick auf die Kuppenrhön, heute leider grau vernebelt.
Power-Shoppen in der Barockstadt Fulda
Das Kind hat sein Taschengeld gespart und möchte ausgiebig shoppen. Fulda scheint der richtige Ort zu sein, um das gesamte Vermögen auf den Kopf zu hauen. Nach zwei Stunden bin ich total erschöpft, dabei haben wir erst die Hälfte der Geschäfte in der Fußgängerzone geschafft. Mit einem großen Eis erkaufe ich mir eine Pause. Mit dem Versprechen auf Kuchen und meinetwegen noch mehr Eis, die Dombesichtigung. „Aber mach schnell, nicht so viel stehen bleiben und ewig gucken“, spricht Kind mit mürrischer Miene und fügt hinzu, „wir waren noch nicht in allen Geschäften.“ Meine aufwallenden Gefühle ersticke ich mit dem Mantra: „Es ist Kindertag, es ist Kindertag, es ist Kindertag.“ Und weil das so ist, durfte sich heute die Enkelin aussuchen, was wir unternehmen. Immer abwechselnd und die Andere darf nicht meckern. Ha, morgen bin ich wieder dran.
Die Wasserkuppe – der Berg der Flieger
Am Wochenende strömen Tausende Besucher auf den höchsten Berg der Rhön und Hessens. Da kann es schon mal vorkommen, dass die Zufahrtsstraße gesperrt wird. Doch mitten in der Woche, dazu noch am frühen Morgen ist es leer hier oben. Eine Weile schauen wir zu, wie die Segelflugzeuge zum Startplatz geschoben werden. Hier oben entstand 1924 die erste Segelflugschule der Welt.
Fliegen wird auf der Wasserkuppe groß geschrieben. Ein Stück weiter auf einer Wiese üben die Paraglider anscheinend starten und landen. Wir umrunden das Radom. Diese Radarkuppel ist das Wahrzeichen der Rhön und ein Mahnmal des Kalten Krieges sowie der Teilung Deutschlands in Ost und West. Daneben ragen die Masten der Deutschen Wetterstation in die Höhe.
Und plötzlich rennt das Kind los. Es hat das Fliegerdenkmal gesichtet. Darauf kann man prima klettern, fast bis zum Adler, der hoch oben auf dem Felshaufen thront. Ich mag gar nicht hinsehen. Hoffentlich kommt sie heil wieder unten an. Zum Glück entdeckt sie von ihrem Ausguck einen Hang voller Steine, auf denen sie nun herumturnt. Ich schaue ihr beruhigt zu, denn die Absturzhöhe ist hier gleich Null.
Von so einem bisschen klettern ist eine 9-jährige natürlich nicht ausgelastet. Also rast sie im Pferdegalopp hinauf zum Radon, über die Wiesen wieder herunter und entdeckt bei einem Lehrpfad Himbeeren. Köstlich. Wir futtern Unmengen der süßen Früchte bis ihr einfällt: „Da war noch was.“ Na klar, eine Sommerrodelbahn. Nein, gleich drei. Nichts wie hin.
„Mimi, das wird lustig, wenn wir beide den Hang hinuntersausen.“ Waaaas? Vor Schreck bleibt mir fast das Herz stehen. „Schätzchen, fahr doch allein, dann kannst du doppelt so oft fahren“, versuche ich einzuwenden. Sinnlos. Sie packt meine Hand und zerrt mich zur Warteschlange. Da stehe ich nun, während mir der Angstschweiß den Rücken hinunter läuft und es ist ein schwacher Trost, dass andere Großmütter mein Schicksal teilen. Gegenseitig sprechen wir uns Mut zu. Nur der Kletterwald bleibt mir Gott sei Dank erspart, denn das Enkelkind hat jetzt Hunger.
Fränkisches Freilandmuseum Fladungen
Die Idylle trügt. Hübsch und sehr gepflegt sehen die alten Häuser aus, die weit verstreut inmitten von Streuobstwiesen, Äckern und Weiden liegen. Doch als wir hineingehen, uns die Stuben und Einrichtungen ansehen, bekommen wir eine Vorstellung davon, wie hart und mühselig das Dorfleben früher war.
Tausende von Fragen prasseln auf mich ein, denn die Enkelin will genau wissen, ob Mensch und Tier immer unter einem Dach gewohnt haben, wozu die Geräte waren und wie man sie benutzte, was in den Gärten wächst und warum das Schaf einen schwarzen Kopf hat. Zum Glück ist alles sehr gut auf Tafeln erklärt. Mal hören wir auch ein Audio oder sehen einen Film.
Stunde und Stunde vergeht. Wir springen durch Himmel und Hölle, hüpfen Seil, fegen den Stall, picknicken zwischen Gänsen am Teich, was mir nicht ganz geheuer ist. Beißen die? Wir sehen zu wie man Getreide mäht und zu Garben bindet oder wie Fässer gebaut werden. In der Dorfschule entdeckt sie die Sütterlin Schrift und ist dermaßen fasziniert von den kunstvollen Buchstaben, dass wir später alle Hefte dazu im Museumsladen kaufen.
Im großen Bauernhof zum Anfassen geht sie auf „Entdeckungsreise mit Theresia“. Nun weiß sie, was ein Plumpsklo ist und wie es sich auf Stohmatratzen schläft. Sie erfährt, dass die Kinder früher viel helfen mussten und wenig Zeit zum Spielen war. Sorgfältig füllt sie den Fragebogen aus und bekommt dafür am Ausgang ein Geschenk.
Ein Heilkräutergarten und ein Barfußpfad
Da wollen wir beide unbedingt hin. Ich möchte gern den Kräutergarten sehen, das Kind will barfuß über Stock und Stein oder Sand und Matsch laufen. Na dann, bauen wir eben einen Schlenker ins Programm ein. Die Ausschilderung ist vorzüglich. Schnell erreichen wir das „gesunde Dorf“ wie sich Frankenheim (Thüringen) auf dem Ortseingangsschild bezeichnet.
Wir beiden Gesundheitsapostel fühlen uns wie im 7. Himmel. Der Absturz kommt beim Anblick des Heilkräutergartens. Was mal mit viel Liebe und noch mehr Geld erschaffen wurde, verkommt langsam aber sicher. Die 9-jährige ist empört, warum sich niemand darum kümmert. Ich schließe mich an. An den Hütten verfault das Holz, die Fenster sind kaputt und im schön angelegten Garten vegetieren ein paar übrig gebliebene Kräuter vor sich hin.
Aber wir haben ja noch den Barfußpfad. Wo fängt er denn an? Suchend schauen wir uns um und fragen schließlich eine Frau nach dem Weg. Ein Stückchen den Berg runter, da ist er. Das Kind rennt vor, weil sie es kaum erwarten kann. Ich hinterher und dann die Ernüchterung. Äh, ist das alles? Diese paar Fächer am Wegesrand? Enttäuscht beschließen wir, trotzdem noch ein Stück zu laufen, vorbei an Kühen, die uns mitleidig ansehen.
Plötzlich beginnt etwas, das wir mal als Barfußpfad einstufen, zumindest das Schild verkündet es großspurig. Angelegt ist (war) er zwischen den Fahrspuren des Kolonnenwegs der ehemaligen deutsch/deutschen Grenze. Meine Enkelin ruft eine „Challenge“ aus. Sie muss die gesamten steinigen Abschnitte schaffen, ich dagegen nur in jedem Kästchen 7 Schritte, weil meine Füße schon so alt und empfindlich sind. Sie scheint über den Untergrund zu schweben, ich tapse vorsichtig und mit schmerzverzogenen Gesicht hinterher. Doch nach und nach geht es immer besser.
Das Kneipp-Wassertretbecken ersparen wir uns. Es ist komplett verdreckt. Stattdessen halten wir die Füße unter ein Kanalrohr mit eiskaltem Bachwasser. Auf dem Rückweg lausche ich den zahlreichen Vorschlägen der 9-jährigen, wie man sowohl Kräutergarten als auch Barfußpfad wieder in Ordnung bringen könnte ohne allzu große Kosten. Wie denn? Indem sich wenigsten ein paar Personen verantwortlich fühlen und vor allem, alle gemeinsam anpacken. Recht hat das Kind.
Künstlerdorf Kleinsassen
Nein, das Kind mag nicht ins Malerdorf. Bilder und Kunstwerke angucken findet sie langweilig und blöd. Ich erzähle ihr, dass dort das 40. Künstlerfest ist. Sie kann selbst kreativ werden oder den Künstlern zusehen, es gibt Musik, unzählige Verkaufsstände und auch was zu essen. Interessiert sie nicht die Bohne. Wir gehen trotzdem hin, denn es ist Oma-Aussuchtag. Entsprechend ist ihre Laune.
Die ändert sich schlagartig, als wir an der bunten Kunststation stehen, über den Skulpturenweg ins malerische Dörfchen hinuntergehen, Theofine und Eduard begegnen oder sie sich im Airbrushen (sagt man das so) versucht. Glücklich nimmt sie bei einem Porträtmaler ihr Bildnis in Empfang, ist begeistert von den Vorführungen der Künstler und dem vielfältigen Angebot auf der Kunstmeile. Ihre Augen strahlen, weil das ein oder andere schöne Stück als Mitbringsel in unsere Taschen wandert.
So wird das Jubiläum „40. Kunstwoche Kleinsassen“ zum krönenden Abschluss der Enkelin-Oma-Sommerreise.
Was haben wir noch unternommen?
Es regnet auch mal. Wie gut, dass es den Indoorspielplatz Rhön-Räuber-Park gibt. Die Enkelin tobt sich aus. Ich gucke zu oder lese. Nur irrsinnig laut ist es, doch man kann nicht alles haben.
Und natürlich waren wir im Schwarzen, jetzt lila gefärbten, und Roten Moor mit der Moorfibel-Ausstellung. In Hilders spielen wir Minigolf (Schläger und Ball gibt es kostenlos bei der Tourist-Info) und gehen anschließend 3 Stunden ins Erlebnisbad „Ulsterwelle“. Weil es gemeinsam mehr Spaß macht, wage ich mich nach 20 Jahren wieder in die kurvenreiche Wasserrutsche und versuche mich an Kopfsprüngen ins kühle Nass. Ich habe es überlebt und stimme der Aussage zu, dass man mit Kindern jung bleibt oder wieder wird.
Wir haben uns wirklich bemüht, sehr viel zu erkunden, doch nur ein Bruchteil geschafft. Die Thüringer Seite haben wir noch nicht gesehen, ebenso wenig die Rhöner Museen, die Feuerberge und seltenen Geotope. Und dann der Sternenpark, das neue Projekt zum Schutz der Nacht und gegen Lichtverschmutzung. Von einigen Stellen kann man den Nachthimmel besonders gut beobachten. Die Sternengucker-Karte haben wir schon nach Hause mitgenommen.
Zum Weiterlesen:
Teil 1: Rhön – Land der Ferne im Dreiländereck
Teil 2: Ostheim, Bischofsheim und der Kreuzberg
Du möchtest immer dabei sein, wenn wir unterwegs sind oder in andere Töpfe schauen? Dann melde dich gleich zum Newsletter an und verpasse in Zukunft keinen Reisebericht mehr.