Heute wird es ernst. Die erste Wanderetappe des Harzer-Hexen-Stieg führt uns nach Buntenbock. Ein bisschen grummelt der Magen sowohl bei der Enkelin als auch bei mir. Es ist das erste Mal, dass die 10-jährige mit Rucksack sieben Tage von Ort zu Ort wandert. Und mir stellt sich zum x-ten Mal die Frage: „Schafft sie es und was ist, wenn sie während einer Etappe schlapp macht?“ Ich kenne den Zustand, wenn man völlig erschöpft ist und keinen Meter mehr weiter gehen will vom Pilgern und anderen Fernwanderungen.

Das Abenteuer Harzer-Hexen-Stieg beginnt

Nach einem stärkenden Frühstück, von dem wir uns die Reste einpacken dürfen, sind wir bereit für das Abenteuer „Wandern auf dem Harzer-Hexen-Stieg“. Fröhlich bezahlen wir unsere Hotelrechnung als eine Frau neben uns fragt, wohin wir wollen. Mit blitzenden Augen berichtet die Enkelin von unserem Vorhaben.

„Oh, das ist sehr aufregend“, spricht sie und fügt geheimnisvoll hinzu, „nehmt euch vor den Hexen in Acht. Man weiß nie, was sie gerade aushecken, um die Wanderer zu ärgern. Dieser Weg steckt voller Überraschungen.“

Sehe ich da gerade einen Schatten über das Gesicht der Enkelin ziehen? Mit ihrem Gerede verunsichert sie nur das Kind. „Schätzchen, du brauchst keine Angst haben. Du weißt, dass Hexen nur im Märchen vorkommen.“ Letztendlich sind ihre Bedenken zerstreut und fröhlich ziehen wir los.

Harzer-Hexen-Stieg

Die Hexen fliegen auf ihren Besen immer mit

Hilfe, die Hexen sind los: Schabernack Nr. 1

Der Einstieg in den Hexenstieg ist direkt bei unserer Pension. Da es sich beim Harz um das höchste Gebirge in Norddeutschland handelt, geht es natürlich gleich bergauf. Wir schnaufen und pusten, zu ungewohnt ist die Last auf unseren Rücken. Am „Töpferhaus“ bestaunen wir die seltsamen Wesen aus Ton, werfen noch einen Blick zurück auf Osterode und dann geht es in den Wald hinein. Plötzlich bleibt die Enkelin mit geweiteten Augen wie erstarrt stehen.

„Was ist? Was hast du? Hast du dir weh getan?“ frage ich besorgt.
Sie druckst herum und eröffnet mir, dass der Zimmerschlüssel noch in ihrer Hosentasche steckt. „Ist nicht schlimm, das kann Jedem passieren, wir sind noch nicht so weit gelaufen und können ihn zurück bringen“, beruhige ich sie. „Hihihi“, kichern die Hexen und reiben sich vergnügt die Hände.

Regeln für das Wandern zu zweit mit einem Kind

Gemeinsam entscheiden wir, dass die 10-jährige wartet, während ich zurücklaufe. Gesagt, getan. Unterwegs wispern besorgte Stimmen: „Du durftest das Kind nicht einfach zurück lassen. Was ist, wenn dir jetzt was passiert? Dann sitzt das Kind allein dort, wartet und ängstigt sich zu Tode.

Merke:

  1. Die Enkelin benötigt einen Zettel mit meiner Telefonnummer und denen
    ihrer nächsten Familie.
  2. Eine genaue Anweisung, was sie tun soll, falls ich plötzlich aus welchen Gründen auch immer ausfalle.

In diesem Fall wäre das, den nächsten Wanderer anzuquatschen oder zurück zum Töpferhaus zu gehen und um Hilfe bitten. (Anmerkung: Die Enkelin besitzt kein Handy, deshalb muss sie kreativ werden.)

Meine inneren Stimmen schimpfen auf dem Rückweg weiter:
„Hast du dein Denken eingestellt? Jetzt fängt es an zu regnen und du hast Enkelins Regenzeug im Rucksack. Sie wird pitschnass werden. Eine Erkältung ist vorprogrammiert und du bist daran schuld.“
„Wie dusselig bist du eigentlich? Schleppst deinen Rucksack mit, statt ihn bei dem Kind zu lassen, damit du schneller bist.“
„Schweigt“, fauche ich die Stimmchen an, „dieses Mal wird es gut gehen und für das nächste Mal habe ich daraus gelernt.“ Zurück an der Wiese kommt mir mein Enkelkind entgegen und erzählt ungefragt, wie sie sich die Wartezeit vertrieben hat und was sie unternommen hätte, wenn ich bis zu einer gewissen Uhrzeit nicht zurück gekommen wäre.“

Die Hexen lachen sich vergnügt ins Fäustchen, schwingen sich auf ihre Besen und fliegen davon.

Kamele auf dem Harzer-Hexen-Stieg?

Geschafft. Nun geht es endgültig los. 6 km habe ich durch den Hexenschabernack schon hinter mir. Der Himmel ist zwar grau, doch der Regen bleibt oben. Am Wegesrand entdecken wir die Kiepenfrau, auch „Harz-Kamel“ genannt und erfahren, dass sie früher verschiedenste Güter und Informationen quer durch den Harz transportiert hat. Ihr Korb, die Kiepe, welche sie auf dem Rücken trug, wog 40 kg. Unvorstellbar. Mir machen die 9 kg schon zu schaffen. Ihre Kleidung bestand aus langem Rock und wahrscheinlich Holzpantinen. Unglaublich, damit weite Strecken gehen und vor allem Berge bezwingen zu können.

Harzer Kamel, die Kiepenfrau

Die Kiepenfrauen transportierten Waren, Briefe und Informationen

Eselkarawanen auf dem Harzer-Hexen-Stieg

An der nach einem Brand neu erbauten Köhlerhütte am Eselsplatz stempelt das Kind die Nr. 140 der „Harzer Wandernadel“ in unser Tagebuch. Über den Harz verteilt gibt es 222 Stempelstellen, zu finden an besonders schönen Plätzen oder sehenswerten Orten. Leider sind alle Stempel im Aussehen identisch, nur die Nummer ändert sich. Das ist schade. Wenn ich da an meine Pilgerstempel denke, . . . , doch ich schweife ab. Jedenfalls hat meine Enkelin ab jetzt eine neue Aufgabe: Wanderstempel sammeln.

Harzer-Hexen-Stieg

Die Hexen lauern überall und auch manche dunklen Gestalten

Viele Eselkarawanen rasteten früher am Eselsplatz. Auf dem Rücken dieser Tiere transportierte man vor allem Getreide aus dem Harz-Kornmagazin von Osterode zu den Bergleuten im Oberharz. Noch heute erinnert eine Skulptur vor dem historischen Rathaus in Osterode an diese Zeit.

Zum Glück entdecken wir die kleine Tafel an einem Baum mit dem Hinweis, dass der weitere Weg über eine Umleitung führt. Nee, ihr Hexen, ihr führt uns nicht erneut in die Irre. Wir passen bei jedem Abzweig und an jeder Kreuzung jetzt gut auf.

Die Fichten sterben – Klimawandel oder menschengemacht?

Langweilig ist es auf dem breiten Pfad. Schweigend wandern wir an den Fichten vorbei, die uns ihre nadellosen Zweige anklagend entgegen strecken. Die Auswirkungen von Stürmen und die extrem trockenen Sommer im Zusammenspiel mit dem Borkenkäfer zeigen sich deutlich. Und wir können sie sogar fühlen: Es regnen grüne Fichtennadeln auf uns herab.

Harzer-Hexen-Stieg

Graue Fichtengerippe

Am Baumsterben hat aber auch der Mensch einen großen Anteil. Weil Holz für den Bergbau im Harz wichtig war, wurde der ursprüngliche Wald gerodet und die Fläche mit schnellwachsenden Fichten bepflanzt. Die Auswirkungen dieser Monokultur sind deutlich zu sehen: überall abgestorbene oder umgestürzte Bäume. Ständig sehen wir Kahlschläge, die auf unsere Stimmung drücken. Endlos türmen sich zu beiden Seiten des Wegs Holzstapel auf. Die Forstleute kommen anscheinend kaum hinterher, die toten Bäume zu fällen.

Harzer-Hexen-Stieg

Überall endlose Holzstapel

Sperren, Umleitungen und Hexenschabernack Nr. 2

Die Ausschilderung der Umleitung lässt zu wünschen übrig. Wir laufen, erzählen, singen, fotografieren und bemerken erst spät, dass wir schon lange keine Markierung mehr gesehen haben. Wir haben uns verlaufen. Die Hexen quietschen vor Vergnügen und rechnen damit, dass wir nun eine Weile im Wald herumirren. Allerdings haben sie ihre Rechnung ohne die moderne Technik gemacht. Mit Hilfe des Handys finden wir erst heraus, dass wir im Kreis gelaufen sind und dann querwaldein sehr schnell zurück auf den Stieg. Enttäuschtes Grummeln bei den Hexen.

Die zweite Rast legen wir am neu errichteten Mangelhalber Tor ein. Es ist das höchst gelegene Tor zum ehemaligen Lehrbacher Wildgatter, welches früher den ganzen Ort einzäunte, um die Gärten und Wiesen vor dem Wild zu schützen. Die Reste des Zauns wurden nach dem 2. Weltkrieg von den Kiepenfrauen weggetragen, denn die Menschen benötigten dringend Brennholz für ihre Öfen.

Harz

Tiefe Furchen durch Baumfällarbeiten

Auf der Zielgeraden nach Buntenbock

Der Weg führt nun durch noch grünen Wald, gesäumt von pinkfarbenen Fingerhut. Wir naschen ein paar Blüten von den gelben Königskerzen als Vorbeugung gegen Erkältungskrankheiten. Vom Ackerblick schauen wir ins Tal hinunter, den Dorotheenblick lassen wir rechts liegen, futtern händeweise süße Erd- und Himbeeren und erreichen die nächste Umleitung aufgrund von Holzfällarbeiten.

Harz Königskerzen

Immer wieder ein fröhlicher Anblick: gelbe Königskerzen und pinkfarbener Fingerhut

Über den Försterpfad erreichen wir unser heutiges Ziel, Buntenbock. Bis zu unserer außerhalb liegenden Pension müssen wir jedoch noch ca. 1 km laufen. Unter Jammern und Klagen der Enkelin, dass es noch sooooo weit ist, kriechen wir im Schneckentempo bergab. Die letzten Meter sind immer die anstrengendsten. Dabei holt das Kind ihr Denkspiel wieder aus den Gehirnwindungen und grübelt, was uns wohl heute im Hotel erwartet. Nach kurzer Zeit fällt ihr ein: „Die können keine Glühbirnen austauschen.“ Na, dann warten wir mal ab, ob wir möglicherweise heute Abend im Dunkeln sitzen.

Harzer-Hexen-Stieg, Etappe 1

Das Ziel greifbar nahe – Buntenbock am Harzer-Hexen-Stieg

Hier haben wir gewohnt: Pension „Holl & Boll, Buntenbock
Auch der längste Kilometer hat mal ein Ende. Wir erreichen unsere Unterkunft und werden äußerst herzlich von der Gastgeberin empfangen. Schlagartig kehren alle Lebensgeister der Enkelin zurück, als sie dieses idyllisch am Waldrand gelegene Plätzchen sieht. Pferde weiden auf der Wiese, Hunde springen herum und der Sonnenschein lockt sie gleich an den Teich. Als sie vom Besitzer noch eine Tüte altes Brot bekommt, um die Fische zu füttern, ist das Kinderglück perfekt.

Harz, Buntenbock

Kinderglück am Teich

Wer wandert, hat auch Hunger
Telefonisch versuchen wir einen Tisch in Buntenbock zu reservieren. Das nächst gelegene Restaurant hat geschlossen (es ist Montag), das andere ist ausgebucht, weil es durch die Corona-Abstandsregeln weniger Plätze zur Verfügung hat. Dem Verhungern nah, telefonieren wir uns durch die Liste der Clausthal-Zellerfelder Pizzerien. „Nein, wir liefern nicht“, hören wir mehrfach. Erst beim Euro-Döner werden wir fündig. Auch wenn sich der Name ziemlich blöd, irgendwie billig und wenig Vertrauen erweckend anhört, die gelieferten Pizzen sind knusprig, üppig belegt und schmecken sehr gut. Ratzfatz haben wir sie am Teich sitzend bis auf den letzten Krümel aufgegessen.

Buntenbock

Seele baumeln lassen am Teich

Müde und satt sinken wir sehr früh in unsere gemütlichen Betten im hübsch eingerichteten Zimmer. Ach ja, und Licht hatten wir auch, womit bewiesen wäre, dass sie in der Pension Holl & Boll durchaus in der Lage sind, die Glühbirnen auszuwechseln.

Hier kommst du zum 1. Teil meiner Wanderung mit Enkelin

Harzer-Hexen-Stieg

1. Etappe von Osterode nach Buntenbock