Endlich sind wir in Osterode. Die Bahn schafft es, uns nach 3-maligem Umsteigen und mit Verspätung mittags am 19. Juli 2020 zum Ausgangsort unserer Wanderung zu bringen. Ich erwähne das Datum deshalb so genau, denn wir haben Glück, dass dieses Jahr unser Mimi-Enkelin-Urlaub nicht der Corona-Pandemie zum Opfer gefallen ist. Zwei Monate lang waren sämtliche Hotels und Gaststätten geschlossen. Erst ab Mitte Mai durften sie unter strengen Abstands- und Hygieneauflagen den Betrieb wieder aufnehmen.

Ankunft in Osterode, Bahnhof Mitte

Wir steigen aus dem Zug und laufen durch den Kurpark an der Schachtrupp-Villa vorbei, die gerade umfassend saniert wird. Auf dem Weg zum Hotel kommen wir an einigen im Verfall befindlichen Häusern vorbei. Gleich sprüht die Vorstellungskraft der Enkelin Funken. Sie erfindet das Spiel „Wer wohnt hier?“. Na klar, in diesen Gemäuern versammeln sich alle möglichen furchterregenden Kreaturen. Da treiben grässliche Hexen, schaurige Geister und gruselige Monster ihr Unwesen. Die Phantasie geht mit uns durch und wir albern gehörig auf dem Bürgersteig herum, argwöhnisch beobachtet von vorbeigehenden Menschen. Bestimmt denken sie: „Was sind denn das für Spinner?“ Egal, wir finden es witzig.

Hofgeismar nach Osterode

Gleich kommt der Zug und bringt uns nach Osterode am Harz. Ob er wohl pünktlich ist?

Wer öffnet für uns Tür und Tor?

Das weitere Spiel eines jeden Tages wird sein, zu erraten, was bei der Ankunft passiert. Heute denkt sich die 10-jährige aus, dass uns in der gebuchten Pension eine uralte Oma die Pforte öffnet. Stimmt. Obwohl, so uralt ist die Frau, die uns hereinlässt nicht. Nun, Kinder sehen ja eine Person ab 60 Jahren bereits als scheintot an. Mich bezeichnet meine Enkelin als ganz schön alt. Sie ist eben ein rücksichtsvolles und sehr höfliches Kind.

Tischlein deck dich statt Frühstücksbüfett

Inzwischen ist Frau Tolle, die Inhaberin des Hotels „Börgener“ zur Begrüßung erschienen. Sie nimmt uns herzlich in Empfang und erkundigt sich nach unseren Frühstückswünschen. Das wird am Tisch serviert. Das morgendliche Büffet fällt den Corona-Vorschriften zum Opfer. Das Kind ist begeistert. Jeder Vorschlag wird mit heftigen Kopfnicken und leuchtenden Augen abgesegnet. Dann landet Frau Tolle mit ihrer Aufzählung bei Cornflakes. Sofort verwirft meine Enkelin die gesamte vorherige Bestellung, denn die knusprigen Getreideflocken sind etwas ganz Besonderes. Zuhause gibt es sie selten bis nie. Doch jetzt ist Urlaub.

Ein Spaziergang durch Osterode

Nach dem Einchecken schlendern wir durch den Osterode. Hübsch sind die vielen renovierten Fachwerkhäuser in der Altstadt, umgeben von einer wehrhaften Stadtmauer. Früher kreuzten sich hier zahlreiche Handelswege. Die Geschäfte florierten, Holz und Bodenschätze aus dem Harz brachten den Bürgern Reichtum. Der Ort wurde Mitglied der Hanse und Residenzstadt Braunschweiger Herzöge. Ihren weiteren Wohlstand verdankt die Stadt dem Zuzug von Handwerkern im 18. Jahrhundert.

Als wir durch Osterode gehen ist vom ehemaligen Reichtum nur noch wenig zu sehen. Leere Schaufenster mit Schildern „zu vermieten“ starren uns an. Doch wer will sich in dieser von einer Pandemie geprägten Zeit schon selbstständig machen. Noch trauriger stimmen mich die Banner, auf denen eine „Neueröffnung“ angekündigt wird, zu der es nie kam. Der Virus namens Sars-CoV19 vernichtete im März 2020 mit einem Schlag alle Lebensträume und Geschäftspläne. Zurück bleiben Menschen, die vor den Trümmern ihrer Existenz stehen. Vor echten Trümmern stehen wir am Brauhaus- und Johannistorplatz. Hier gibt es jedoch bereits Planungen der Stadt für eine Neugestaltung. Zukunftspersektiven.

Johannistorplatz Osterode

Bald sieht es hier ganz anders aus

Die lautstarke Bemerkung meiner Enkelin: „Mimi, wann gibt es endlich das versprochene Eis?“, reißt mich aus meinen trübsinnigen Gedanken. Sofort steuern wir die Eisdiele Zotta auf dem Kornmarkt an und gönnen uns zwei riesige Schokoladenbecher. Von unserem Platz aus bewundern wir das Rinnesche Haus, einem Renaissancebau mit üppiger Verzierung. Davor halten gerade zwei uralte Lanz-Traktoren, tuckern vor sich hin und hüllen uns in eine Wolke von Auspuffgasen, während ihre Eigentümer sich ganz in Ruhe ein Eis schmecken lassen.

Osterode am Harz

Schokoladeneis mit Auspuffgasen

Wir bummeln weiter durch den Ort. Vorbei an der Kirche St. Aegidien erreichen wir das Alte Rathaus. Über zwei Steingeschossen wölbt sich der mit Goslarer Schiefer verkleidete Giebel. Vor dem Gebäude steht eine bronzene Skulptur. Der Esel und sein Treiber sollen an die ehemaligen Getreidetransporte entlang des Harzer-Hexenstiegs erinnern. Als Zwischenlager diente das Harzkornmagazin, ein großes Gebäude aus der Barockzeit, welches heute das Neue Rathaus beherbergt. Daneben ist die Touristeninformation. Leider geschlossen, doch wir sehen, dass wir im Rittermuseum einen Stempel bekommen können. Also nichts wie hin.

Osterode am Harz

Das Alte Rathaus ist ein Schmuckstück. Die Walrippe unter dem Erker soll vor Hochwasser schützen.

Schwere Last – ein Ritter ist ihm auf den Kopf gestiegen

Ein cooles Museum im Ritterhaus

Aus dem Tagebuch der Enkelin:
Das Museum hat drei Stockwerke. Cool ist, dass man ganz viel ausprobieren darf. Unten gibt es einen Raum mit Sachen aus dem Kinofilm „Die kleine Hexe“. Da ist auch der Stempel versteckt. Mimi und ich verkleiden uns als Königin und Prinzessin. Es gibt auch Kleider von Königen und Rittern für Jungen.

Rittermuseum Osterode

Ihr müsst euch mit dem Anblick der Königin begnügen. Die Prinzessin darf niemand sehen.

Ich versuche einen Brief mit einer echten Gänsefeder und Tinte zu schreiben. Das ist schwierig. Es gibt viele Kleckse auf dem Papier und meine Hände sind hinterher blau. Der Mann im Museum hilft mir den Brief mit heißem Wachs zu versiegeln. Das nennt man Petschaft. Der König hatte ein eigenes Siegel und auch die Zünfte. Man durfte es nicht aus der Hand geben. Wenn es trotzdem jemand Unbefugtes benutzte, wurde der bestraft.

Im nächsten Stockwerk wird uns gezeigt, wie lange es dauert und wie mühsam es ist bis aus einer Flachspflanze ein Leinenhemd wird. Alles mussten die Leute damals selbst machen. Erst säten sie Lein. Im Herbst ernteten sie die Pflanzen und zerhackten sie solange bis es weiche Fasern gab. Aus denen wurde das Garn gesponnen. Aus dem webten die Frauen Stoff. Und erst dann konnten sie ein Hemd oder Kleid nähen, natürlich mit der Hand, was sicher ganz schön lange dauerte. Da habe ich es heute besser.

Interessant sind die Möbel der Familie Schachtrupp. Am Bahnhof hatte ich schon ihre große Villa gesehen. Die waren anscheinend sehr reich. Sie besaßen eine Fabrik, in der sie Bleiweiß herstellten. Was das wohl ist? Mimi weiß es auch nicht und deshalb haben wir nachgesehen. Es ist weiße deckende Farbe. Man benutzte sie zum Anstreichen oder um Bilder zu malen. Ganz früher hat man das auch in Schminke und Wundsalben gemischt. Da das Zeug aber durch das Blei giftig ist, wurden die Leute krank und man hat es gelassen.

Oben unter dem Dach gibt es eine Sonderausstellung vom „Deutschen Theater“ in Göttingen – ein Blick hinter die Kulissen. Cool. Ich habe mich verkleidet und ein bisschen Text geübt, dann hat Mimi ein Video gedreht. Aber im Theater gibt es ja nicht nur die Schauspieler sondern auch viele andere Menschen wie Schreiner, Maler, Schneider oder Licht- und Tontechniker. Echt spannend wie so ein Theaterstück entsteht.
Ende des Tagebucheintrags

Wo gibt es hier was zu essen?

Nach drei Stunden haben wir alles gesehen. „Jetzt habe ich Hunger“, verkündet meine Enkelin, und wir steuern das nächste Restaurant an. Alles besetzt, ebenso im Nächsten. Mir schwant Fürchterliches. Durch die ganzen Corona Abstandsregeln stehen erheblich weniger Sitzplätze als sonst zur Verfügung. Dazu kommt, dass mehr Menschen in Deutschland ihren Urlaub verbringen. Und die wollen alle was essen. Beim Griechen, welch origineller Name, finden wir zum Glück einen Tisch. Der Hunger der Enkelin ist riesengroß. Ohne mit der Wimper zu zucken verschlingt sie in Windeseile zwei gebackene Schafskäse und meinen halben Bauernsalat.

Osterode am Harz

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Eine Challenge auf dem Hexenstieg

Ach ja, meine Enkelin ist seit eineinhalb Jahren Vegetarierin. Ganz konsequent. Deshalb gibt es für die Zeit auf dem Hexenstieg eine Challenge. So was liebt sie. Die lautet: Wir beide essen ausschließlich vegetarisch. Äh, super Idee, nun ja, aber ich könnte doch . . . Nein, unterbricht sie resolut mein Gestammel. Also gut, Herausforderung angenommen. Sofort erscheint vor meinem geistigen Auge die üppige Auswahl vegetarischer Gerichte auf den Speisekarten gutbürgerlicher Restaurants. Es schaudert mich.

Den restlichen Abend verbringen wir mit Uno spielen im schönen Hotelgarten. Früh gehen wir zu Bett, damit wir fit sind für das Abenteuer „Wandern mit Rucksack auf dem Harzer-Hexenstieg“.

Hier haben wir gewohnt:
Hotel Garni „Börgener“
Das Hotel liegt sehr ruhig am Ortsrand von Osterode, direkt am Beginn des Harzer Hexenstieg. Trotzdem ist man in wenigen Gehminuten direkt in der Altstadt. Großen Wert legt die Gastgeberin Frau Tolle auf eine familiäre Atmosphäre. Das gelingt ihr super. Freundlich und hilfsbereit kümmerte sich sich um unser Wohl. Unser Zimmer war groß und sauber. Das Bett in Ordnung. Wir haben prima geschlafen. Aufgrund der Coronabestimmungen wurde das Frühstück morgens am Tisch serviert. Einen Tag vorher konnten wir uns aussuchen, was wir gerne essen wollten. Der Garten mit vielen Sitzgelegenheiten rundet den positiven Eindruck ab.

Schön war es bei Ihnen, liebe Frau Tolle. Wir waren rundum zufrieden und empfehlen Ihr Hotel gerne weiter.

Klick hier zur 1. Etappe: von Osterode nach Buntenbock